Kampf gegen Asbest auf der Vulkan-Werft

Asbestose – eine Diagnose, die Schrecken verbreitet. Auch der Schiffs- und Stahlbauschlosser Fritz Bettelhäuser arbeitete auf der Werft lange Zeit mit dem krankmachenden Stoff, ebenso wie sein Kollege Ralf Spalek. Für die Liste „Echolot“, eine linke Opposition gegen die SPD-Gewerkschaftler, organisierten die Betriebsräte den Widerstand gegen Asbest. In aller Munde war dann die Ablehnung des Umbaus eines asbestverseuchten Schiffs, dass dem Vulkan mitten in der Krise einen Riesenauftrag in Aussicht stellte. Die Berechtigung ihres Widerstandes sollten beide später am eigenen Leib erfahren.

Diagnose: Asbestose
Wie seine Kollegen hatte auch Bettelhäuser ohne Schutzkleidung und Absaugeinrichtung gearbeitet. Die Werft warnte ihre Arbeiter nicht. Dann hatte die Arbeit auch in seiner Lunge Spuren hinterlassen, die inhalierten Asbestfasern hatten sich dort festgesetzt.


Der Bockkran 2011, das Wahrzeichen der Werft

Das Tückische an der Krankheit ist: Erst nach etwa 15-20 Jahren spüren die Betroffenen die ersten Symptome, je nach Dauer und Konzentration der Belastung. Die Lungenbläschen entzünden sich, die Lunge kann sich nicht mehr richtig dehnen, das Gewebe vernarbt. Das Atmen fällt immer schwerer, der Sauerstoffgehalt im Blut sinkt, Atemnot und Husten sind die Folge. Kleinste körperliche Anstrengungen erscheinen wie unüberwindliche Hürden. Eine Treppe, ein Spaziergang, der Arztbesuch. Die Schädigung ist irreversibel, einmal vernarbtes Gewebe bleibt verloren. Auch 40 Jahre nach Einatmen der tödlichen Fasern kann es noch zu Lungen- oder Rippenfellkrebs kommen.

Der Wendepunkt
Lange Zeit ahnte die Belegschaft auf der Werft nichts von den Gefahren. 1974 organisierte eine Sekretärin der IG-Metall in Hamburg eine Tagung zum Thema Arbeitssicherheit, es ging um Asbest. Doch vorher war Streit. Nicht nur mit den Arbeitgebern, Widerstände gab es auch in SPD und Gewerkschaft. Es ging ging um eine unscheinbare Stelle hinter dem Komma, den Paragraphen 37,6 oder 37,7 des Betriebsverfassungsgesetzes. Der kleine Unterschied entschied über Fahrtkosten und Spesen, ob der Betriebsrat die Teilnehmer auswählen kann. Der Betriebsrat des Vulkan gewann den Streit und konnte vier Delegierte schicken. Was er auf der Tagung erfuhr, war ein Schock.

„Letzte Schublade links vom Schreibtisch“
Nach der Konferenz realisierten die Betriebsräte die Dimension des Themas. Überall auf dem Vulkan war Asbest. Die Betriebsräte starteten eine Aufklärungskampagne, zuerst bei den Tischlern. Wie die Schweden auf der Konferenz berichtet hatten, bekamen die den Dreck ganz massiv ab, bei der Bearbeitung der asbesthaltigen Marinite-Platten. In keiner anderen Berufsgruppe sollten die Ärzte später so viele Asbestose-Kranke feststellen wie unter den Tischlern.

Daraufhin forderte der Betriebsrat die Entlassung des zuständigen Sicherheitsingenieurs. Zusammen mit dem Vorstand war er verantwortlich dafür, dass die schon bestehenden Vorschriften der Gewerbeaufsicht auf der Werft nicht eingehalten worden waren. Der Vorstand lehnte ab, stellte aber zusätzlich einen neuen Sicherheitsingenieur ein, der auch vom Betriebsrat für seine gute Arbeit gewürdigt wurde. Das war nicht der einzige Erfolg. Die Hamburger Werft Blohm und Voss hatte schon das schwedische Patent für ein asbestfreies Material eingekauft, mit dem die Schotten an Bord abgedichtet wurden. Jetzt mussten auch die Tischler auf dem Vulkan nicht mehr mit den Marinite-Platten arbeiten. Was für viele zu spät kam, bestätigte aber die Warnungen des Betriebsrats:

„Und? Ist mir was passiert? Nix!“
Damit mischte sich der Betriebsrat aktiv in die Arbeitsorganisation und Gestaltung der Produktion ein, klassisch die Domäne der Angestellten mit den weißen Kragen. Damit schaffte er sich dort wenig Freunde, die Ingenieure und Verwaltung befürchteten erhöhte Produktionskosten, eine geringere Effektivität – kurz: einen Nachteil in der Konkurrenz auf dem Markt. Aufkleber im Betrieb wie auf dem Vulkan waren da nur ein Störfaktor.

Sticker der Gruppe „Echolot“, hier organisierten sich Bettelhäuser und Spalek gegen die SPD-Mehrheit im Betriebsrat

Die Werftenkrise zeichnete sich ab, da wollte der Vorstand keinen Vorteil aus der Hand geben. Zum Beispiel: Bisher deckten die Schweißer bei der Arbeit an Bord empfindliche Einbauten mit asbesthaltigen Decken ab. Das asbestfreie Abdeckmaterial verursachte aber ein Mehrfaches an Kosten. 1979 hatte der Vulkan Arbeiter zum Umbau des Passagierschiffs „Norway“ an die Bremerhavener Lloyd Werft ausgeliehen. Als Rolf Spalek auch dort die Arbeitsbedingungen in Augenschein nehmen wollte, erhielt er Werftverbot. In Vegesack versuchte ein Oberingenieur, die Arbeiter mit einer denkwürdigen Aktion von der Harmlosigkeit des Materials zu überzeugen.

Die „United States“
Die Aktion des „mutigen“ Ingenieurs blieb wirkungslos, außerdem: die Asbestfasern greifen die Lunge des Menschen an und wirken nicht durch den Magen. Bemerkenswert ist etwas Anderes, auf dem Vulkan engagierten sich die Arbeiter aktiv gegen eine unsichtbare Gefahr. Das war keineswegs selbstverständlich, ungeachtet der 100 000 Prostierer gegen die Atomkraftwerke verteidigten die Betriebsräte dieser Anlagen immer die Unternehmerlinie von der Sicherheit ihrer Werke. Auf dem Vulkan dagegen entschieden sich die Arbeiter gegen ökonomische Interessen und für ihre Gesundheit. Rolf Spalek meint, vielleicht hätten sie „Glück gehabt“. Die Beobachtung des asbestosekranken Tischlers hatten alle mitbekommen.

Diese Haltung zeigte sich im März 1983, keine zwei Wochen nach einer soeben überstanden existenziellen Krise der Werft. Da wollten die Banken nach dem Ausfall des Auftrags urplötzlich die Kredite für die Werft nicht mehr verlängern. Sie verlangten, der Senat solle die Bürgschaft für den verloren gegangen Ausfall in Höhe von 100 Millionen übernehmen. Bürgermeister Koschnik und der Finanzsenator dagegen verlangten die Teilung des Risikos. „Das Zittern um den Vulkan hält an“, schrieb der Weserkurier am 1. März. Schließlich ging es um 4000 Arbeitskräfte, auch die politischen Pläne für einen Werftenverbund von Vulkan und AG Weser wären mit einer Pleite der Werft in Vegesack hinfällig geworden. Am Ende des nervenaufreibenden Konflikts auch innerhalb des Rathauses und mit Bonner Politikern siegte die Linie des Bürgermeisters und trug ihm höchste Anerkennung ein.

Keine zwei Wochen später winkte dem Vulkan ein neuer Großauftrag, der den griechischen Ausfall kompensiert hätte. Und was geschah? Der Betriebsrat opponierte öffentlich gegen diesen Auftrag, das Passagierschiff „United States“ sei asbestverseucht. Auf der Werft kursierte das Wort vom „Todesschiff“. Immerhin war die „United States“ 1952 vom Stapel gelaufen, in einer Zeit, als Asbest noch an allen Ecken und Kanten eingesetzt wurde. Angesichts dieser heiklen Entscheidung suchte Fritz Bettelhäuser die Rückendeckung seiner Leute.

Dann politisierte sich der Konflikt. Ein Grüner brachte das Asbestthema in die Bürgerschaft, worauf ihm der Bremerhavener Bürgermeister im Namen der SPD die „Geisteshaltung eines Maschinenstürmers“ vorwarf. Schnell zog sich die Reederei aus den Verhandlungen mit dem Vulkan zurück, nicht ohne als Begründung auch auf die Haltung des Betriebsrats zu verweisen. Doch in der IG Metall ging der Konflikt weiter, eine andere norddeutsche Werft versuchte für den nun wieder freien Auftrag mit Hilfe der Gewerkschaft an Land zu ziehen. Wenn sich die Vulkanesen von „Echolot“ für eine Gewerkschaftsversammlung zum Thema Gesundheitsschutz anmeldeten, dann prophezeiten die altgedienten Gewerkschaftler: „Dann ist wieder Dampf in der Bude.“ Als der Betriebsrat Bettelhäuser im gleichen Jahr auch noch auf der Liste der Grünen für die Bürgerschaft kandidierte, verstanden die alten SPD-Gewerkschaftler die Welt nicht mehr.

Das Büro unterm Dach

Als die Vulkan-Werft 1997 Insolvenz anmelden musste, standen nicht nur Tausende auf der Straße. Vor allem die Arbeiter mit einer schon ausgebrochenen oder schleichenden Asbestose fühlten sich allein gelassen. Bei der Anerkennung von Asbestose oder einem durch Asbest verursachten Krebs als Berufskrankheiten gab und gibt es noch immer Probleme. Die aber ist Voraussetzung für die Zahlung der Rente. Seit der Schließung der Werft unterstützte Rolf Spalek nun seine ehemaligen Kollegen in einer Beratungsstelle auf dem alten Werftgelände. Doch die mangelnde Würdigung des streitbaren Gewerkschaftlers fand mit seinem Einzug in das ehemalige Betriebsratsgebäude kein Ende.

Unüberwindbare Barriere, Treppen zum 4. Stock

Bis zur Institutionalisierung dieser Arbeit war es ein weiter Weg, mal gab es eine ABM Stelle, dann engagierte sich die Kirche, lange Jahre aber arbeitete Rolf Spalek allein ehrenamtlich. Erst 2013 ermöglichte ein Bürgerschaftsbeschluss eine Sicherstellung der für die Betroffenen so wichtigen Hilfe durch die Arbeitnehmerkammer in Vegesack. Das Büro unterm Dach gibt es nicht mehr, die Probleme sind aber geblieben.

Gestorben – ohne ein „Faserjahr“
Die Anerkennung einer Asbestose als Berufskrankheit gleicht einem Gang durch die Hölle der Bürokratie. Die nennt sich in diesem Falle Berufsgenossenschaft. Sie ist der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, wird ausschließlich durch die Beiträge der Arbeitgeber finanziert und ist aber paritätisch auch mit Vertretern der Arbeitnehmer besetzt. Der Kranke muß hier nachweisen, dass sein Lungen- oder Rippenfellkrebs von seiner Arbeit und nicht vielleicht durch Zigaretten verursacht wurde. Nur dann kann er auf finanzielle Ausgleichs-, Entschädigungszahlungen oder Rente hoffen. Bei einem Unfall an einer Maschine ist der Zusammenhang eindeutig, bei der Asbestose und einem durch Einatmen von Asbestfasern ausgelösten Krebs ist der Nachweis extrem schwierig. Rolf Spalek und Fritz Bettelhäuser können ein Lied davon singen, wie es im Anerkennungsverfahren zugeht und wer im System der „Faserjahre“ durch die Maschen fällt.

Arbeiten mit Asbest, Tyneside Shipyard 1943

Nur im Jahr 2012 starben laut Statistik in Deutschland 1500 Menschen an den Folgen der Arbeit mit Asbest. Keine andere Berufskrankheit ist derart tödlich. Dabei zählt diese Statistik nur die von der Berufsgenossenschaft anerkannten Fälle. Wie Rolf Spalek setzen sich inzwischen bundesweit die Betroffenen und Unterstützer für die Umkehr der Beweislast ein. Dann müssten die Berufsgenossenschaften den Antragsstellern nachweisen, dass sie auf der Arbeit nicht mit Asbest in Berührung kamen und ihre Krankheit eine andere Ursache haben muss. Nur so ließe sich das nervenaufreibende und belastende Anerkennungsverfahren für die schwer Erkrankten vermeiden lassen.

„Und welche arme Sau muss da denn ran?!“
1974 hatten die Tischler des Vulkan gegen die Verwendung der Marinite-Platten gestreikt. 1981 trat der Umweltminister Gerhart Baum vor die Kameras und verlangte auf einer Pressekonferenz Unglaubliches. Munitioniert mit den Daten des Umweltamtes forderte er, Asbest aus dem Verkehr zu ziehen. Doch erst 1993 war das Verbot von Asbest durchgesetzt. Für den früheren Umweltminister ein „Paradebeispiel, wie lange es dauert, bis sich medizinische Kenntnisse gegen wirtschaftlichen Druck durchsetzen. Meistens braucht es erst eine Katastrophe.“

Doch mit dem Verbot in Deutschland und seit 2005 in der EU ist das Thema nicht aus der Welt, die Produktion läuft weiter: Zwei Millionen Tonnen – mit kleinen Steigerungsraten – werden noch immer hergestellt und in vielen Ländern weiter verarbeitet. Dazu kommen die Altlasten: Nicht nur die „Norway“, dessen Inspektion einst das Werftverbot für Rolf Spalek bewirkt hatte, lag eines Tages am Strand von Alang. Dort in Indien oder bei Chittagong in Bangladesch donnern die Reeder ihre ausrangierten Riesen bei Springflut und mit Volldampf auf einen der berüchtigten Abwrackstände. Dort zerlegen dann die Armen der Welt die Schiffe unter den denkbar miserabelsten Arbeitsbedingungen. Zur Tarnung der Methode und zum Schutz des guten Reedernamens wurde die „Norway“ kurz zuvor noch in „Blue Lady“ umbenannt. Hier entfaltet die tödliche „Wunderfaser“ aufs Neue ihre Wirkung. Ralf Spalek fragte schon in den 80er Jahren danach, wer einst diese Schiffe verschrotten sollte.

Auf dem Abwrackstrand von Gadani, Pakistan, hier weitere beeindruckende Fotos >>>

Weitere Beiträge zum Thema:

Asbestverladung im Hafen >>
Auf dem Vulkan Stolz und Dreck >>

Interview: Achim Saur, Rona Schneider, 2011
Audiomontagen, Recherche und Text: Christina Sachs
Bilder in der Reihenfolge: Christina Sachs; wikimedia; C. Sachs; Richard Rickyar, wiki; C. Sachs, Cecil Beaton, Imperial War Museum, London; Tomas Halda

Zur Person:
Fritz Bettelhäuser, Jg. 1942, seit 1967 Schiffs- und Stahlbauschlosser auf dem „Vulkan“, ab 1969 Betriebsratsmitglied, insgesamt acht Jahre Vorsitzender. Sprecher der Echolot-Gruppe, setzte sich 1981 als Betriebsratsvorsitzender gegen einen SPD-Kandidaten durch. Nach seinem Ausscheiden Anfang der 1990er Jahre freiberuflicher Materialgestalter

Rolf Spalek, Jg. 1945, ab 1975 im Betriebsrat tätig und freigestellt für Arbeits- und Gesundheitsschutz. Seit dem Konkurs des „Vulkan“ bis 2013 Beratung von Asbestose-Erkrankten

Zuletzt erschien im Nov 2014 im Bremer Kellner Verlag: Wir klagen an. Asbest und seine Opfer. Die Herausgeberin Silvia Schön, Bremer Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen, und Hans-Joachim Woitowitz, ehemals Leiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität Gießen, publizierten Aufsätze zum Thema und sammelten die Geschichten von Asbestose-Opfern.

 

 

 

 

 

Zum Weiterlesen: Hien, Wolfgang et al., Am Ende ein neuer Anfang? Hamburg 2002; Böhm, Michaela: Wenn die Luft wegbleibt, Frankfurter Rundschau, 12. Sept 2003; Rundbrief „Arbeitskreis Andere Nützliche Produkte“; Fritz Bettelhäuser /Peter Ullrich /Projekt S.U.S. / Universität Bremen (Hrsg.): Auf dem Weg zum sozial- und umweltverträglichen Schiff, Bremen 1999; Manager und Märkte, Kein Umbau der United States, DIE ZEIT , 18.03.1983; Zier, Jan: Wenn die Arbeit krank macht, taz, 22.04.2014; Jung, Reinhard: „Was lange währt …..“ Die Beratung bei Berufskrankheiten in Bremen; Buttler, Dietmar: Bremer Vulkan – die Spätfolgen, Junge Welt, 18.04.2011; o.V.: Asbest – die Zeitbombe tickt. In Europa verboten, in Entwicklungs- und Schwellenländern verbaut: Noch immer ist der Werkstoff eine tödliche Gefahr, greenpeace magazin 03.2010

Alle Links vom 4.11.2014

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