Verschwundene Quartiere – „Muggenburg“ und „Alter Westen“

Die Muggenburg
Schon vor dem Bau der stadtbremischen Häfen siedelte sich am Weserufer im Bremer Westen die erste Bremer Industrie an, so die Eisengießerei Waltjen und die Mineralölfabrik von Korff, auch gab es eine Kalkbrennerei mit einer kleinen Siedlung. Mit der Eröffnung des Freihafens 1888 entstanden dichte Wohngebiete – durchmischt mit kleineren und größeren Gewerbebetrieben und Speichern.

Der Blick vom Turm der Stephani-Kirche auf den Bremer Westen um 1930 zeigt das Muggenburg-Quartier, das sich von der Bahn nach Oldenburg weserabwärts zog. Hinter der Freihafenbahn schloß sich dann der „Alte Westen“ an.

Bremer Haus, ein-und zweigeschossig, Großspeicher neben Kleingärten, dann der Zollzaun

Eine Insel in der Stadt
Eingeschlossen von den Bahnlinien und Hafenbecken lebten die Muggenburger hier wie auf einer Halbinsel, dazu trennte sie der Zollzaun des Freihafengeländes vom Bremer Westen ab. Die Nähe zum Wasser, zum Hafen und zur Industrie schuf hier ein ganz eigenes Quartier, von den Muggenburgern „Piepe“ genannt.

Hier durchquerten die Arbeiter der Atlas-Werke und der Reismühle Nielsen regelmäßig das Gebiet, damit wurde die Muggenburg auch Ort für zahlreiche Kneipen. Mehr als 20 Gaststätten gab es in dem kleinen Viertel.

Atlas-Werke (links) und Reismühle Nielsen am Weserufer, dahinter der Freihafen I

 

Fuhrunternehmen Klatte
Die Muggenburg vor den Toren des Freihafens war ein idealer Standort für viele Gewerbetreibende, so auch für Fuhrunternehmer. Das 1863 gegründete Familienunternehmen Meyer & Klatte zog es auf die Muggenburg. Mit dem Ausbau der Hafenanlagen expandierte das Unternehmen und nach 1910 entstanden große Stallungen und ein neues Wohnhaus in der Straße „Auf der Muggenburg“. Bis zu 40 Pferde und etliche Fuhrwerke gehörten zu dem Unternehmen. In den 20er und 30er Jahren gehörte es zum alltäglichen Bremer Bild, dass die Fuhrwerke mit Vierspännern, beladen mit Baumwollballen oder Teekisten, durch die Quartiere zogen. Auf dem Bild transportieren sie Kisten zu der benachbarten Schellack-Fabrik von Stroever. Einst war das der Rohstoff für die erste Generation von Schallplatten, heute wird Schellack vor allem von der Pharma-Industrie genutzt.

 

 

Baden an der Weser
Bis zum Weserstrand war es für die Muggenburger im Sommer nicht weit. Sie hatten die Wahl: sie konnten per Fähre zur „Timmermann’schen Badeanstalt“ auf der Woltmershauser Weserseite oder nach Lankenau, meist gingen sie aber zur „Tränke“ in der Nähe des Fähranlegers oder an den Industrieanlagen vorbei bis ans Weserufer. Hier traf man sich vor der Raffinerie auf der sogenannten „Schweinsweide“. Die Woltmermeshausen Badeanstalt Timmermann lag direkt gegenüber der Atlas-Werke. Bis in die 1960 liefen auf dieser Werft die Schiffe noch von einem Querhelgen vom Stapel. Ein Höhepunkt für die Woltmershauser Kinder, die sich dann in die Wellen stürzen konnten.

Das „Schwachhausen des Westens“
So nannte der Volksmund die Wohngebiete zwischen Nordstraße und Freihafen I, in unmittelbarer Nachbarschaft des Muggenburg-Viertels. Das Wohngebiet mit den rheinischen Städtenamen gehörte zum „Alten Westen“, hier in der Bonner-, Mainzer- oder Coblenzer Straße lebte man „bürgerlich“. Eine der allerbesten Wohnlagen war der Bülowplatz. Auf einer Strecke von 500 Metern lebten und praktizierten allein fünfzehn Ärzte.

Bülowplatz in den 30er Jahren, mit Hakenkreuzfahne

Die Nordstraße, Lebensader des Viertels
Der Blick vom Turm der Wilhadi-Kirche, damals noch an der Nordstraße gelegen, zeigt diese Geschäfts- und Wohnstraße in den 20er Jahren. Sie war die Lebensader des Viertels. Links der Kreuzung am unteren Bildrand zweigt die Neptunstraße schräg in das „Rheinischen Viertels“ ab. Das dominante Gebäude in der linken Bildecke war Sitz der Neptun-Apotheke. Das Ende des Viertels markierte die Fabrikstraße mit ihren schlichten Häusern, so einfach wie die Häuserfront war auch die charmante Namensgebung. Hier wohnten ausschließlich Arbeiter und Arbeiterinnen der Bremer Jutespinnerei, deren Fabrikanlage sich direkt anschloß. Hier war Schluß mit Stuck und Erker.

2. Weltkrieg und August 1944
Seit 1940 wurden die alten Hafenquartiere Zielscheibe von britischen Bombenangriffen, lagen hier doch kriegswichtige Produktionen. Doch aus der Sicht der britischen Luftwaffe liess die „Effektivität“ der Angriffe anfangs arg zu wünschen. Bezeichnend war, dass eine Bombe, die ein Ziel „nur“ um acht Kilometer verfehlte, im August 1941 bereits als „Treffer“ galt. Immer wieder gab es so Bombenschäden auch in den Wohnquartieren.

So zum Beispiel in der Strasse „Auf der Muggenburg“, das im Bild gezeigte Haus beherbergte das ehemalige Milchgeschäft Lunsken, im Hintergrund der Hochbunker. Hier schlug die Bombe am 13. Dezember 1943 ein, diesmal jedoch eine amerikanische. Den 120ten Angriff auf Bremen hatten 60 US-Bomber tagsüber geflogen, ungeachtet des nebligen Wetters. Diesmal gingen fast 700 Spreng- und 2700 Brandbomben auf die Stadt nieder. Es starben 19 Menschen, 70 wurden in die Krankenhäuser eingeliefert, das Focke-Museum wurde schwer beschädigt.

Der Angriff war nur Teil der langen Vorgeschichte bis zum verheerendsten Angriff auf die Stadt in der Nacht vom 18. auf den 19. August 1944. Inzwischen hatte sich die britische Kriegsstrategie gewandelt, dieser Bombenteppich verwandelte den Alten Westen mit dem Rheinischen Viertel wie die Muggenburg in eine Trümmerwüste. Nach dem Krieg hofften viele Bremer wie die Lunskens auf einen Wiederaufbau an alter Stelle auf ihrem Grundstück. Doch nach der Trümmerbeseitigung entschied der Senat, diese Flächen dem Gewerbegebiet rund um den Hafen anzugliedern. Zwei Stadtteile waren verschwunden.

 

 

Text: C. Eckler-von Gleich,  für das Heimatmuseum bearbeitet von A.Saur
Fotos: Geschichtskontor

Siehe auch C. Eckler von Gleich, Die alten Hafenquartiere,“Alter Westen“ und „Muggenburg“ 1860 – 1945, Ein photographischer Streifzug, Bremen 1999, Edition Temmen:


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