Seit dem 18. Jahrhundert überboten sich Ingenieure und Wasserbauer mit Angeboten an den Bremer Senat, ein Mittel gegen die Versandung der Weser zu kennen. Einen groß angelegten Versuch ab 1740 brach der Senat nach sechs Jahren ab, als der Unternehmer zum versprochenen Termin nur die Hälfte der besonders widrigen Strecke von Vegesack bis Bremen geräumt hatte. Seitdem misstraute der Senat den vollmundigen Offerten der Wasserbauer.
Mit der Industrialisierung aber nahm der Tiefgang der Schiffe rapide zu, die Dampfer besaßen einen ganz anderen Tiefgang als alle vorherigen Schiffstypen. Selbst den Passagieren eines kleineren Dampfers konnte es passieren, dass sie auf ihrer Tour nach Bremerhaven zwei Mal auf Grund liefen (PDF) und ihr Ziel erst nach 15 Stunden erreichten.
Doch die dringend notwendige Weserkorrektion sollte 30 Millionen Reichsmark kosten. Das überforderte die Stadt, also sollten die Kosten mit den anderen Anrainerländern – Oldenburg und Preußen – geteilt werden. 20 Jahre währte der Streit mit diesen Ländern. Sie befürchteten, künftig würden die Schiffe an Brake, Elsfleth oder dem noch preußischen Geestemünde vorbei dampfen und gleich die Hansestadt anlaufen. Denn bis dahin besaßen die Unterweserhäfen einen „Standortvorteil“. In Geestemünde wie in Bremerhaven konnten bei Hochwasser selbst Schiffe mit 8,3 Meter Tiefgang anlegen, in Brake war die Weser noch 6,1 Meter tief, in Walle hatten die Schiffe nur noch 2,6 Meter unter dem Kiel.
Als die Bremer Hoffnungen auf eine Beteiligung des Reichs oder der Länder an deren Widerstand oder Desinteresse scheiterten, drohte Bremen seine Stellung als Handelsstadt zu verlieren. Die Stadt stand allein auf weiter Flur. Die einzige Rettung bot die Idee, für in Bremen ankommende Schiffe eine Abgabe pro Tonne Last zu erheben. Diese Gebühr sollte etwas niedriger sein als die Kosten für das umständliche Leichtern in Bremerhaven, Brake oder Elsfleth oder der Weitertransport per Bahn. Denn eine direkte Fahrt bis Bremen war für die Bremer Kaufleute und Reeder die attraktivste Lösung.
Dem entgegen stand, dass ein solcher Rückfall in die Zeiten des Wegezolls anachronistisch war. Die Reichsverfassung enthielt einen Passus, der Flusszölle ausdrücklich ausschloss. Die Bremer Argumentation lautete daher, die Unterweserkorrektion sei ein so tiefer Eingriff in die Natur, dass ein künstlicher Wasserlauf wie ein Kanal entstünde. Kanalgebühren gebe es überall. Eine solche Entscheidung aber konnte nur der Reichstag treffen. Ihn musste Bremen mit dem wirtschaftlichen Nutzen des „Weser- Kanals“ für ganz Deutschland überzeugen. Um die „allgemeine Sympathie der Nation“ für das Vorhaben zu gewinnen, schickten Senat und Handelskammer Gesandte ins Land. Diese warben dann erfolgreich im „Centralverein der deutschen Fluß-und Kanalschifffahrt“ und in den Städten der Oberweser.
Fast 20 Jahre hatten die Verhandlungen und der Streit mit den Anrainerländern gedauert, dann ging alles ganz schnell. Nach nur sieben Tagen waren die drei Lesungen zum „Gesetz btr. die Erhebung einer Schiffahrtsabgabe auf der Unterweser“ im Reichstag über die Bühne. Der letzte und einzige Widerspruch kam ausgerechnet vom Stadtdirektor der Bremer Stadtgründung, aus Bremerhaven. Sein Argument, es handle sich immer noch um einen „natürlichen Wasserlauf“ war eigentlich plausibel. Immerhin blieben fast zwei Drittel der Unterweser im alten Zustand. Nur 25 der 70 Flusskilometer bis Bremerhaven wurden begradigt, eingedeicht oder auf andere Weise verändert. Selbst der Bremer Reichstagsabgeordnete H.H. Meier, Vorsitzender des Norddeutschen Lloyd, musste als Lobbyist eingestehen, „streng genommen“ verstoße eine solche Abgabe gegen den Wortlaut der Verfassung.
Doch die allgemeine Begeisterung über den Ausbau des Handelsnetzes im Reich wischte diese Einwände vom Tisch. Selbst die wenigen Bedenkenträger sprachen unisono von einem „Unternehmen von der großartigsten Bedeutung“. Entscheidend war das Stimmengewicht Preußens im Bundesrat. Den Preußen machte die Zukunft ihres Städtchens Geestemünde nur geringe Bedenken, die „Leistungsfähigkeit einer so wichtigen Wasserstraße“ wog schwerer. Und so bezeichnete die Begründung für den Gesetzentwurf die Weser zwar nicht als Kanal, aber es handle sich doch um eine „neue und selbständige Schöpfung“. Damit war die Länderkammer auf Bremens Seite, im Reichstag mochte dann niemand mehr das Projekt grundsätzlich in Frage stellen.
Die Bremer Handelsinteressen waren gesichert und der Senat verfügte mit der legalisierten Abgabe über eine Refinanzierung, die den Staatshaushalt auf gesicherte Grundlage stellte. Ein Risiko aber blieb. Sollte der Plan von Franzius nicht funktionieren und sollten die Schiffe Bremen wegen der schlechten Fahrverhältnisse nicht ansteuern wollen, dann konnte auch keine Abgabe die 30 Millionen wieder in Staatssäckel bringen. Doch die Weserkorrektion erfüllte alle Erwartungen. So war es nicht verwunderlich, dass Bremen dem Retter seiner Seehafenstellung mit einem öffentlichen Denkmal ehrte.
Zum Weiterlesen, Klaus Auf dem Garten, Christian Ostersehlte, Der Kampf um Bremens Seehafenstellung, Bremen, 2018; Verhandlungen des Reichstags, Bd. 87, 1885/86, Gesetz btr. die Erhebung einer Schifffahrtsabgabe auf der Unterweser, https://www.reichstagsprotokolle.de/Band3_k6_bsb00018457.html
Bilder: Wasser- und Schifffahrtsamt, Bremen
Text und Recherche: Achim Saur