Jahrhunderte hatte die „Braut“, ein mächtiger Trutzbau auf dem Werder, die Bremer Altstadt vor Angriffen von der linken Weserseite geschützt. Mit dem Bau einer neuen Festungsanlage entstand auch links Weser ein von Gräben und Bastionen gesichertes Land. Zunächst lagen hier aber vor allem die großzügige Garten von begüterten Bürgern. So konnten sie bequem der Enge der Altstadt entfliehen.
► Die Landsitze in den Dörfern vor der Stadt waren aufgrund der holperigen Wege nur schwer erreichbar, umso attraktiver war daher ein „Naherholungsgebiet“ in der Neustadt. Am Weg zum „Hohentor“ entstand eine erste städtische Allee mit Linden- und Kastanienbäumen und lud zum Flanieren ein. Noch um 1700 beschränkte sich daher die Besiedlung auf die Achse rund um die Brautstraße.
Ein Stadtteil der „Kleinen Leute“
Zehntausende zogen im 19. Jahrhundert in die entstehende Großstadt. Sie kamen vor allem aus den Dörfern des Nordwestens und erhofften sich hier ein besseres Auskommen. Bremer Schiffe hatten den waghalsigen Überseehandel mit den amerikanischen Kolonien begonnen. In der Neustadt entstand rund um den importierten Tabak die Frühindustrie der Zigarrenmacherei, Zugewanderte oder ehemalige Handwerker drehten in Hausindustrie und kleinen Fabriken Zigarren für die Tabakhändler. Häufig lebten sie in den Gängen mit armseligen Wohnungen. Diese Häuser waren nicht unterkellert und besaßen nur einen oder zwei Räume. Vor dem Stadtor entstand rund um den Buntentorsteinweg nach 1850 eine Vorstadt, die in ihren Anfängen aber noch als Landgebiet behandelt wurde.
Die „Grosse Weserbrücke“
Mit der 1885 in Angriff genommenen Weservertiefung stieg die Strömungsgeschwindigkeit der Weser. Damit war eine neue Brücke notwendig, jetzt eine moderne Konstruktion aus Eisen. Der repräsentative Bau in Verlängerung der Wachtstraße (rechter Bildrand) verband die Altstadt jetzt mit einem dicht besiedelten Stadtgebiet. Direkt hinter der Brücke lag das mächtige „Arbeitshaus“, 1830 erbaut. Hier wurden die städtische Armut – „Vagabunden, Trunkenbold, Bettler und liederliche Frauenzimmer“ – untergebracht und gegen geringes Entgelt zur Arbeit verpflichtet. Eine der Beschäftigungen war auch das Zigarrendrehen. 1922 wurde das Arbeitshaus aufgelöst.
Der Teerhof
Auf der Landzunge vor der Neustadt lag ursprünglich das „Teerhaus“, hier lagerten die Bremer einst das aus Rußland und Skandinavien importierte Teer. Für die alten Segelschiffwerften war das ein unentbehrlicher Rohstoff. Im 19. Jahrhundert wurde das Gelände erhöht und mit Ufermauern befestigt. Wie im Stephaniviertel errichtete der Bremer Handel hier große Packhäuser, auch die Tabakfirma Brinkmann ließ hier ihren Rohstoff anlanden.
Freimarkt in der Neustadt
Nicht nur der Roland hatte sein Gegenstück in der Neustadt. Der Freimarkt, ursprünglich eine Art Messe für Händler aus Nah und Fern, zog 1890 erstmals auch auf das linke Weserufer. Rund um den Grünen Kamp und Westerstraße. Da hatte die Zahl der Verkaufsbuden schon abgenommen, inzwischen überwogen die Karussells und Vergnügungsbetriebe. Seit 1919 verschwand der Freimarkt aus der Altstadt und fand nur noch in der Neustadt statt. Davon profitierten nicht zuletzt die Gastwirte der anliegenden Straßen. Darunter auch Fritz Ebert, der spätere Reichspräsident. Zur Förderung von SPD- und Gewerkschaftsaktivitäten hatte er 1894 inmitten der Neustadt eine Gastwirtschaft in der Westerstraße gepachtet hatte.
„Mudder Cordes“
Sie galt als Bremer Original, später gelangten ihre Fotos als Postkartenmotive in Umlauf. Als der „Plattdütsche Verein“ 1949 bei seinem Umzug an „Mudder Cordes“ erinnerte, war sie schon über 50 Jahre verstorben. Mit ihrem Grünkramwagen zog sie Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem durch die Neustadt. Mit ihrem legendär frechen Mundwerk erregte das „Bremer Original“ Aufsehen. Vor allem ihre Zugtiere waren ungewöhnlich, die vor dem Nichts stehende Witwe eines wenig begüterten Zigarrenmachers ließ ihren Wagen erst von einem Hund, dann von einem Esel ziehen. Nach dem Tod ihres Esels 1905 mumifizierte das Überseemuseum das Tier für seine Ausstellung. Schon zu Lebzeiten war ihre Form des Gewerbes im Umherziehen eine Randerscheinung und Relikt der Vergangenheit geworden.
Auf dem Grünenkamp
Der Grünenkamp als eine der größten innerstädtischen Freiflächen war lange Ausgangspunkt für Umzüge alle Art. Hier begannen nicht nur Freimarktsumzüge, hier versammelten sich auch über 10 000 Menschen zur Demonstration gegen der heraufziehenden Nationalsozialismus. Und nach 1933 starteten an gleicher Stelle auch die 1.Mai Umzüge im Geiste der neuen „Volksgemeinschaft“. So stellte 1935 auch das kleine Fischgeschäft aus der Neustadt einen herausgeputzten Festwagen.
Die „Kaiser Brauerei“ 1893
Ursprünglich war das Bierbrauen eine weitverbreitete Angelegenheit, über 300 Brauer zählte Bremen 1636. Mit der Industrialisierung verwandelte sich das Handwerk in ein industrialisiertes Gewerbe, allein in Bremen entstanden mehrere Aktienbrauereien. 1873 kaufte der Häusermakler Rutenberg mit 2 Kompagnons die frühere „Neustadter Actienbauerei“ und benannte sie in „Kaiser Brauerei“ um. Doch das war 1910 nur eine von sechs Brauereien zwischen Langemarckstraße und Neustadtsbahnhof. Im Konzentrationsprozess der Bremer Bauereien erwies sich diese Gründung als die Erfolgreichste. Am Ende blieb nur Beck & Co, hervorgegangen aus der „Kaiser Brauerei“. Doch die Konzentration ging weiter, heute ist das Unternehmen in belgischem Besitz.
Export-Bier
In der „Kaiser Brauerei“ stieg der Absatz nach Übersee kontinuierlich, überholte bald den regionalen Absatz. Dazu wurde im Verpackungsraum per Hand verkorkt, das Stanniolpapier und das Etikett aufgeklebt, schließlich abgepolstert in die Kisten verpackt. Über 1000 Beschäftigte arbeiteten um die Jahrhundertwende in den 6 Firmen des Neustädter Brauerei-Viertels. Als die Bremer Brauerei Arbeiter 1911 in den Streik traten, schlug das Wellen bis in die Bürgerschaft. Die Arbeiter versuchten die Auslieferung an die Bremer Wirte zu verhindern und gingen dabei mitunter recht handfest vor. Das Polizeipräsidium stellte fest, daß es gegen diese Aktionen weitgehend hilflos war. In der Folge rüstete sie auf: Berittene und Fahrzeuge ermöglichten fortan mobilere Einsätze als die bisherigen Fußstreifen.
Text, Bilder und Recherche: Geschichtswerkstatt Neustadt