Bremen in den 1960er Jahren: Der Hafen boomt, das Wirtschaftswunder bringt Fleisch auf die Teller, Tiertransporte im Industriehafen sind an der Tagesordnung. 20.000 Rinder jährlich für den Schlachthof.
Aber eines Tages kommen auch Exoten aus Afrika, und Henry Geller von der Spedition Schenker & Co. muss sich um deren Quarantäne kümmern.
„Wiederkäuer werden nicht seekrank. Sie registrieren den Seegang einfach nicht und gleichen das Rollen des Schiffes instinktiv aus. Man kann sie also getrost verschiffen.“
So beruhigt der „Weserlotse“ im Oktober 1963 seine Leser. Die vielen Rinder kommen aus Irland und Dänemark nach Bremen, um hier geschlachtet zu werden. Der Knackpunkt sei die Entladung, denn die müsse zügig vonstatten gehen.
Schlachtvieh kam auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg, damals gab es dafür einen eigenen Schlachthof, den Seegrenzschlachthof im Industriehafen, der Weg vom Schiff zum Metzger war also kurz. Dieser Schlachthof wurde im Krieg total zerstört, er wurde auch nicht wieder aufgebaut.
Nach 1945 hat man das Vieh zuerst im Holzhafen entladen, aber das war ein ziemliches Provisorium. 1951 wurde deshalb im Kohlehafen eine neue Viehumschlagsanlage errichtet. „Der Verbindung (von den Gleisen) zum Schiff dient ein beweglicher Steg, der mittels Handwinden je nach Höhe des Schiffsdecks gehoben und gesenkt wird“, schreibt 1953 das Jahrbuch der Hafenbautechnischen Gesellschaft. Mit verplombten Eisenbahnwaggons wurde das Vieh dann zum Schlachthof an der Bürgerweide gebracht. Anfang der 60er Jahre war auch diese Verladeanlage durch die steigende Zahl an eingeführtem Vieh zu klein, außerdem entsprach sie nicht mehr den Sicherheitsstandards.
An der Kap-Horn-Straße, beim Becken A des Industriehafens, wurde deshalb eine neue Viehverladungsanlage gebaut, eine Investition von einer halben Million Mark. 1963 übergab Hafensenator Dr. Georg Bortscheller die Anlage der Bremer Lagerhaus Gesellschaft. Für den Umschlag zuständig war die Spedition Schenker & Co., bei der Henry Geller arbeitete. Zur Einweihung am 4. September sollte die „Inger Clausen“, ein dänischer Viehtransporter, 300 Rinder bringen. Viele Honoratioren und Ehrengäste, darunter auch der Hafensenator, warteten auf das Schiff – vergeblich. Ironisch schreiben die Bremer Nachrichten:
„Vom stürmischen Wetter aufgehalten, hatte das Schiff gerade erst Bremerhaven passiert, als sich die Herren der Einweihungsfeier versammelten. Und so sah man kurz danach eben jene durch das Labyrinth von Brücken, Tunneln und eingezäunten Gängen wandern, das eigentlich den Ochsen vorbehalten ist.“
Eine Arche im Bremer Hafen
Der Anfang war eine Tragödie. In der Nacht auf den 30. März 1966, einen Tag nach der Eröffnung, brach ein Feuer auf der Quarantänestation aus; fast alle Tiere verbrannten: fünf Antilopen, fünf Gazellen und vier Wasserböcke. Dabei waren bei der feierlichen Eröffnung alle so hochgestimmt: Endlich, nach zwei Jahren, war das Projekt realisiert! Das Projekt einer schwimmenden Quarantänestation im Bremer Hafen.
Der holländische Tierhändler Frans M. van den Brink handelte mit exotischen Zootieren, mit Antilopen, Gazellen, Lamas, Zebras, Giraffen. Für den Export in die USA schien ihm Bremen besonders geeignet: Von hier gab es die schnellsten und häufigsten Flugverbindungen nach Amerika. Deshalb beauftragte van den Brink die Spedition Schenker & Co., die durch die Rindereinfuhr viele Jahre Erfahrung mit Tierimporten hatte, im Hafen eine geeignete Lagerhalle für eine Quarantänestation zu finden. Im Hafen aber war keine Halle frei. Da kam van den Brink auf eine ungewöhnliche Idee: Er kaufte ein holländisches Binnenschiff und baute es um. 55 m lang, 14 m breit, mit 28 geräumigen Boxen für die Tiere.
Die „Wormer 2“ wurde im Industriehafen in der Waterbergstraße festgemacht, die ersten Tiere kamen, Onyx-Antilopen und Dama-Gazellen aus dem Tschad und Wasserböcke aus Ägypten. Betreut wurden sie vom Veterinär Dr. Claus Müller, der sie selbst eingefangen hat. Sechs Wochen sollten sie hier in Quarantäne bleiben, damit man Infektionen und ansteckende Krankheiten ausschließen konnte. Und dann das tödliche Feuer – verursacht vermutlich durch Isolierstoffe, die durch die Infrarotheizer in Brand gerieten.
Aber der Tierhändler van den Brink gab nicht auf. Bald war die „Wormer 2“ wieder hergestellt. Fast 20 Jahre lang blieb die schwimmende Quarantänestation im Industriehafen vertäut, bis sie in den 80er Jahren aufgelöst wurde.
Interview: Wilfried Brandes mit Henry Geller, 2008
Schnitt: Sabine Murken, 2010
Recherche und Text: Christine Spiess, 2012
Fotos: Geschichtskontor, Henry Geller (1 und 4);