Ein Bunkeridyll? – Aus einem Bremer Tagebuch

Da hat der Lehrer Adolf M. 1941 tatsächlich seine Kamera mit in den Bunker genommen, um den Kriegsalltag  zu dokumentieren. Später montierte er die Bilder in sein Tagebuch, so entstand eine private Reportage aus einem Hastedter Bunker. Ein ganz seltenes Dokument!

So erfahren wir, wie er sich einen Reim auf die ersten Bombennächte machte.

 

Der Krieg jenseits der Front – Heroismus und Verniedlichung
Er sieht sich als unerschütterlichen „Volksgenossen“, dem es 1941 noch gelingt – da sind die Bombardements noch Nadelstiche – sich den Krieg vom Leibe zu halten. Zu diesem Zeitpunkt muss er wohl feststellen: „Eine gesicherte u. friedliche Heimat gibt es nicht mehr!“ Doch er verwandelt die Gefahr in ein heroisches Geschehen. Da „tobt hoch oben in den Lüften ein Kriegslärm, die Schlacht: Tagen des Weltkriegs gleich.“ Meyer erlebt aufs Neue ein weltgeschichtliches Drama, den ersten Weltkrieg hat der junge Mann aus Bremerhaven bei der Marine verbracht. Inzwischen ist er verheiratet und lebt mit seiner Frau in Hastedt.

Den ersten Empfehlungen des Luftschutzes traut er nicht: Glücklich, wer einen sicheren Keller besitzt! Die meisten Häuser Bremens besitzen ihn leider nicht. Wohl haben Pioniere sie abgestützt mit Baumstämmen, aber viel Zutrauen hat man trotzdem nicht dazu.“ Er will nicht den bequemen und kurzen Weg in seinen Keller nehmen. Daher stammt seine Reportage aus einem Erdbunker. Er weiß, das Haus ist nicht länger ein sicherer Ort. Doch im November 1941 gibt es kaum massiv gebaute Hochbunker, zu diesem Zeitpunkt gibt es nur, wie sich später herausstellen wird, wenig sichere unterirdische Erdbunker. In seiner Nachbarschaft liegt der circa 500 Meter entfernt.

Das zweite Hilfsmittel, wie er sich den Krieg vom Leibe hält, ist Verniedlichung. Da verwandeln sich die aus ihren Häusern Geflüchteten in „Bunkergäste“, als hielten sie sich in einem Hotel auf. Mancher vertreibt auch die Zeit mit Lesen“ das klingt wie eine Urlaubsbeschreibung. Ein junges Mädchen wird zur „Bunkermaus“. Die Gefahr benennt er erst am Ende: Nach einem Treffer in der Nähe beben die Bunkerwände und flüchten „Überlebende staubüberladen“ in den Bunker. Doch Meyer wechselt sofort zum Entwarnungssignal, danach krabbelt man zuhause schnell noch mal ins Bett, um noch etwas Schlaf nachzuholen.“ Und dann geht das „normale Leben“ weiter.

Jetzt aber wechseln wir ins Tagebuch. (Kursiv der Text aus den Tagebuchseiten)


Der Großangriff am 7./8. Nov. war für den Tommy eine große Pleite geworden. 37 verlorene Flugzeuge hat er hinterher zugegeben. Die nächste Nacht war darum mal wieder ruhig.

Nacht vom 9. zum 10. Nov
20:30 – 23:30 Alarm und große Schießerei. So ist das Leben in Bremen seit Mai 1940. Tagsüber geht alles seinen normalen Gang. Abends erhebt sich dann die Frage: Was wird die Nacht bringen? Werden am nächsten Morgen viele Häuser in Trümmern liegen? Wird man selbst davon betroffen sein? Vom Dienst kommend sucht man seine Wohnung am Rennstieg auf.

Abends sitzt man gemütlich im Wohnzimmer und liest das ‚Hamburger Fremdenblatt‘. Aber wie lange man dieses Vergnügen haben kann, weiß man nie, es hängt vom Tommy ab. Das Radio spielt, solange ist alles in Ordnung.


Nun setzt das Radio aus: ‚Voralarm!‘ Man dreht noch am Apparat herum, aber es nützt nichts, die meisten Sender sind abgestellt. Dann dauert es meistens nicht lange u. die Sirenen heulen ihr häßliches Auf u. Ab. Schnell wird das Bunkergepäck (Kissen, Decken, Wertsachen, Lebensmittelkarten) u. eiligst geht es meist schon unter Kanonendonner in den Bunker.

Im Bunker findet man sich wieder. Es sind durchweg immer dieselben Gäste, sodaß man sich schon als Bekannte begrüßt.

So mollig eingepackt läßt es sich schon im Bunker aushalten.


Mancher vertreibt auch die Zeit mit Lesen, oder es werden Briefe geschrieben, Bunkerbriefe.
Schließlich wird man müde und sucht die Koje auf –
wie auch schon fast alle übrigen Bunkergäste.


‚Klein Erna‘, ein niedliches Bunkerhäschen.

Und im Wäschekorb flüchtete der der jüngste Erdenbürger in den Bunker: 10 Tage alt.

Nach langer Sitzung sind die beiden Alten eingenickt – und schließlich ganz zusammengesunken.



Und hier ein zusammengesunkener Haufen.
Stunde um Stunde sitzt oder liegt man, liest oder schläft man, bis die Füße kalt und die Menschen ungeduldig werden. Oben heult das Flakfeuer auf u. verebbt wieder. Bombeneinschläge sind zwischendurch auch zu spüren. Einmal schlägt’s ganz in der Nähe ein, sodaß die Bunkerwände wackelten. Aus dem Keller des zusammengestürzten 3-stöckigen Wohnhauses kommen die Überlebenden staubüberzogen in den Bunker. Im grauenden Morgen ertönt oft erst das Entwarnungssignal. Übernächtigt, durchgefroren krabbelt man zuhause schnell noch mal ins Bett, um noch etwas Schlaf nachzuholen.

Am nächsten Tag geht das normale Leben weiter.

Die Berufsarbeit geht unbeirrt weiter. 21 angehende Facharbeiter in ihrem Klassenraum.


Wer war Adolf M.?
Adolf M., Jahrgang 1896, kam aus bescheidenen Verhältnissen. Zusammen mit acht Geschwistern wuchs er in einer ärmlichen Siedlung in der Nähe einer Bremerhavener Werft auf, vielleicht war es die Werft von Tecklenborg oder Rickmers. Dann arbeitete er sich empor. Beim Norddeutschen Lloyd lernte er vor dem Ersten Weltkrieg Maschinenbau, darauf diente er zwei Jahre bei der Marine und besuchte anschließend die Schiffsingenieurschule. Bis 1934 arbeitete er in der Seestadt als Gewerbelehrer und unterrichtete in seinem Fach. Nach dem Wechsel zur Bremer Berufsfachschule stieg er dort 1939 zum Fachleiter auf. 1940 heiratete er und kaufte ein Haus in Hastedt, ein scheinbar erfolgreiches Leben, geprägt vom Aufstieg in eine andere Welt.

Dazu gehörte auch der Kauf eines Segelboots. Sein Tagebuch, sieben Bände davon liegen im Bremer Staatsarchiv, ist voll von Beschreibungen der schönen Touren, die er mit seiner Frau bis 1941 gemacht hatte. Bis dahin fehlen jegliche politischen Einträge. Überzeugte Nationalsozialisten hatten da ihren Führer in ihren Tagebüchern schon längst bejubelt.

Militärischer Siegestaumel und Katzenjammer
Doch plötzlich ändert sich M.’s Tagebuch, ein Jahr nach  Kriegsbeginn hinterlässt er erste politische Lageberichte. Im September 1941, wenige Wochen vor seiner Bunkerreportage, verfasst der Teilnehmer des 1. Weltkriegs eine Jubelarie für den „genialen Führer“, dabei verwendet er alle Stereotypen der NS-Propaganda:

„Zwei Jahre Krieg liegen schon wieder hinter uns. Wie ganz anders verläuft dieser Krieg! Im 1. Weltkrieg starre Fronten. Nur vereinzelte Offensiverfolge, die aber nie zu Entscheidungen führten. Trotz der gewaltigsten Leistungen der deutschen Heere mußte Deutschland nach über vierjährigem Ringen unterliegen. Aber aus diesem Kampf schenkt die Vorsehung dem deutschen Volk einen Mann, dem es vorbehalten bleibt, in diesem zweiten großen Ringen um Deutschlands Größe u. Weltgeltung genialer Führer zu sein: Adolf Hitler! Die Welt sah staunend seine politischen Erfolge um Deutschlands Wiederaufrüstung. Nun steht sie vor unfaßbaren militärischen Leistungen: 1939 wurde in 18 Tagen Polen zerschlagen. – April 1940 erfolgte, unter den Augen der mächtigen englischen Flotte, die Besetzung Norwegens. Der Westfeldzug im Mai und Juni 1940 war eine militärische Glanzleistung.“

Und so geht es endlos weiter über alle Etappen des Kriegsverlaufs. Auch die ersten Rückschläge beim Angriff auf die Sowjetunion und der Eintritt der USA in den Krieg änderte nicht seine verblendete Sicht auf die Dinge. Als Hitler im Dezember den USA den Krieg erklärte, notierte er: „Die angelsächsische Welt mit ihren gewaltigen Hilfskräften gegen die Führerstaaten Deutschland, Italien, Japan. Ein Ende wird erst dann möglich sein, wenn die eine Gruppe am Boden liegt – und das wird die marode Gruppe der demokratischen Staaten sein, deren Weltanschauung und deren innere Kraft überholt ist und zerfallen muß.“

Kommentar:“Nun folgten immer härtere Schläge gegen den wankenden russischen Koloss: Die gewaltige Zangenoperation von Kiew.“

Vielleicht ist es diese Weltsicht, welche den Heroismus und die Verniedlichung des Bunkerlebens im Tagebuch des Adolf M. erklärt. Es dauert noch Jahre, bis er sich den Tatsachen stellen muss. Das geschieht erst, als die britischen Soldaten Bremen schon erobert hatten. Da ist das Dachgeschoß seines Hauses durch Bombentreffer schon unbewohnbar geworden und mit seinen Nachbarn muss er auf Anordnung der Militärregierung die nahen Unterkünfte ehemaliger Zwangsarbeiter reinigen. In sein Tagebuch schreibt er: „Eine ekelhafte Angelegenheit, da alles […] total verschmutzt war. Man muss an Robert Leys Phrasen denken, dass die Deutschen Herrenmenschen seien. Solche Anmaßungen lässt man uns jetzt spüren.“

Adolf M. reagiert wie die meisten seiner Zeitgenossen: Erst als der Krieg verloren ist und die Stadt in Trümmern liegt,  klagt er die an, denen er einst begeistert folgte.

 

Recherche und Text: Achim Saur
Das Tagebuch des Adolf M. ist zu finden im Bremer Staatsarchiv unter der Signatur 7,500 – 269

 

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