Fest verankert

Jugendfreizeitheime, „Freizis“, das wäre in den 1950er Jahren ein Fremdwort gewesen. Jugendarbeit fand in den Sportvereinen statt – und in den Kirchengemeinden. In Walle hatte sich vor allem die Immanuelgemeinde auf diesem Gebiet stark engagiert. Gemeindehaus und Kapelle in der Elisabethstraße, beide eher unscheinbar in die Häuserreihe eingefügt, wurden für Generationen von Jugendlichen zur zweiten Heimat.

Die Jugendarbeit hat in der Immanuelgemeinde eine lange Tradition, von Anfang an. Im Jahre 1899 kam Paul Gerhard Tiefenthal aus Bochum als erster Pastor in das neu erbaute Pfarrhaus mit Lehrsaal. Rund um die Elisabethstraße wuchs gerade ein neues Waller Wohnquarier, das „Generalsviertel“. So genannt, weil alle Straßen einen preußischen General als Namenspatron besaßen. Für das lange auf seine unabhängige republikanische Tradition stolze Bremen ein ungewöhnlicher Schritt. Bremen gliederte sich ein in das 1871 von Preußen gegründete Deutsche Reich.

Die Finanzierung für Pastor Tiefenthals Kirche stand noch in den Sternen, darauf mußte er noch zehn Jahre warten. So begann er seine Waller Laufbahn als zweiter Prediger in der Wilhadi-Kirche, einer Tochtergemeinde von St. Stephani. Launig hatte ihm der „Bauherr“, der Kirchenvorstand von St. Stephani, empfohlen: „Ihre Gemeinde, die müssen Sie sich suchen.“ Zehn Jahre später war es soweit, auf das unbebaute Grundstück neben dem Pastorenhaus entstand eine ungewöhnliches Gotteshaus. Hier reckte sich kein Kirchturm dominant in die Höhe. Die Kapelle der Immanual-Gemeinde gliederte sich bescheiden ein in die Straßenzeile der Elisabethstraße. Nur der Glockenturm überragte den First der Nachbarhäuser und zeigte an, hier ist ein kirchlicher Versammlungsraum.


Vielleicht erleichterte dieser bescheidene Auftritt die Arbeit des jungen Pastoren. Denn er sollte auf vorgeschobenen Posten inmitten eines Quartiers arbeiten, in welchem die Kirche einen immer schwierigeren Stand hatte. Im „Generalsviertel“ lebten die jungen Arbeiterfamilien, die beim Hafenbau und in den neuen Industrien ihr Brot verdienten. Hier hatte die wenig kirchenfreundliche Sozialdemokratie die Herzen der Neubremer gewonnen.

Doch die Muttergemeinde St. Stephani besaß eine theologische Orientierung, die ihm die Suche nach der Arbeit erleichterte. Zudem kam Tiefenthal aus Bochum, die Welt der Industrie war ihm vertraut. Und im Stephaniviertel, im „Krummen Viertel“ und in den Gassen und Gängen hinter der Kirche, lebten seit Jahrhunderten auch die Armen der Stadt. Hier hatten die Pastoren schon lange Zeit karitativ gearbeitet: Der „Sozialen Frage“ und der Entchristianisierung begegnete sie mit Vereinen, die nicht nur der Predigt, sondern auch christlicher Geselligkeit dienten.

Pastor Tiefenthal gründete einen „Jünglingsverein“ und band die Jugendlichen in die Gemeindearbeit ein, dann kamen auch die Eltern. Gemeinschaftliche Sommer- und Winterfeste und Ausflüge festigten den Zusammenhalt und die protestantische Identität der Mitglieder. Die Kirchenzeitung von St. Stephani beschreibt ein solches Fest, an dem auch die Gemeindemitglieder von Immanuel teilnahmen. 1903 machten sich 1300 Teilnehmer per Sonderzug auf zum Sommerfest an den Hünengräbern bei Ganderkesee:

„Nachdem alle Teilnehmer, so gut es eben ging, sich ein Plätzchen erobert (viele begnügten sich auch mit einem Platz in Mutter Grün) und den unvermeidlichen Kaffee eingenommen hatten, versammelten sich Groß und Klein um die Musik- und Gesangschöre, welche unter der trefflichen Leitung des Herrn Pastors Tiefenthal die Anwesenden durch Vorträge erfreuten. Der Verbandspräses, Herr Pastor Vietor [von St. Stephani], hielt darauf eine kurze, zu Herzen gehende Ansprache, die allseitig Beifall fand. Unter kundiger Führung unternahm dann eine größere Anzahl einen Spaziergang nach den Hünengräbern. Für die Zurückbleibenden wurden Spiele arrangiert und es dauerte auch nicht lange, da hatten sich 15 Gruppen zu allerhand Unterhaltungsspielen gebildet. Für die Kinder war in besonderer Weise gesorgt. Selbst die Allerkleinsten kamen zu ihrem Recht, welches dankbar von den Müttern anerkannt wurde. Besonderes Vergnügen bereitete das Tauziehen an einem 30 Meter langen Tau. Es war eine Freude zu sehen, in welch‘ harmonischer Weise sich jung und alt in dem schönen Gehölz am gemeinsamen Spiel vergnügten. Um 7 Uhr wurde das Abendbrot eingenommen und noch manch schönes Stück von den Musikchören zum Vortrag gebracht. Eine von Herrn Pastor Vietor veranstaltete Verlosung (Gewinn: eine goldene Uhr), deren Ertrag zum Besten der Inneren Mission bestimmt war, bereitete allgemeine Überraschung. […] Um 9 1/2 Uhr traf der Sonderzug wieder in Bremen ein.“

Immanuel war die erste Kirchengemeinde in Bremen, die einen Jugendsekretär einstellte. Sein Nachfolger, Pastor Friedel Denkhaus, wurde 1932 auch nebenamtlicher Jugendpastor. Unter den Nationalsozialisten führte er Immanuel als Teil der opponierenden Bekennenden Kirche – Gemeinde und Familie hatten schwere Zeiten auszustehen. Als er 1945 aus dem Krieg zurückkehrte, setzte er seine Jugendarbeit fort: streng, fordernd, fördernd. Die Zeitzeugen, die hier berichten, erlebten die Jugendarbeit dann unter Denkhaus Nachfolger, Pastor Köper, der 1953 sein Amt antrat.

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Interview: Achim Saur und Sabine Murken mit: Marietta Cyriacks, Emmi Lutz, Hannelore Maurer, Hans Jürgen Käthow, Richard Reinke; 2008
Audioschnitt und Video: Sabine Murken; 2011
Text und Recherche: Achim Saur
Fotos: Geschichtskontor, Immanuel Gemeinde

Der Ausschnitt aus der Videomontage von Sabine Murken entstand 2009 aus Anlaß der Wiederkehr des hundersten Gründungstags der Immanuel-Gemeinde.

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