„Kleinkantine Piccolo“

„Richtiger“ Kaffee war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Luxusgetränk, auf dem Schwarzmarkt galt er als eine der „Leitwährungen“ hinter der Zigarette.

Aber auch in den 50er Jahren kam der Bohnenkaffee nur an Sonntagen oder bei besonderen Anlässen wie einer Konfirmation auf den Tisch. Die hohen Preise hatten den Verkauf in kleinen Portionen zu Folge. Die Kaffeerösterei Münchhausen hatte dafür eine geniale Verkaufsidee, für die Jürgen Segelken zuständig war.

 

„Kleinkantine Piccolo“ nannte sich das Projekt nach amerikanischem Vorbild. Dort hatten die großen Firmen die Kaffeepause eingeführt – eine nur kurze Unterbrechung der Arbeit mit der Aussicht, so zugleich auch die Motivation der Mitarbeiter und somit auch die Effektivität der Arbeit zu steigern. Damit aber, anders als beim häuslichen Wasserkochen, Aufbrühen und Filtern, keine Zeit verloren ging mit dem aufwendigen Vorgang, kam der Kaffeeautomat zum Einsatz. 1947 begann der Siegeszug des Apparats mit 300 Automaten, acht Jahre später standen bereits 60 000 im Land der technologischen Innovationen.

August Münchhausen, der Gründer der Kaffeerösterei am Geeren, hatte bis Ende der 50er Jahre 1000 „Piccolo-Automaten“ aufgestellt; nicht nur in den Firmenkantinen, auch in Postämtern und auf Bahnhöfen stand sein Gerät. Und wo es an der Bereitstellung heißen Wassers mangelte, da lieferte er den Aufstellern einen Boiler zum Aufbrühen des Kaffees zum Nulltarif.

1953 sank die Kaffeesteuer. Bis dahin hatte ein Aufschlag von 10 Mark auf das Kilo den Bohnenkaffee für den normalen Bremer unbezahlbar gemacht. Für den Preis von einem Pfund Kaffee hätte er auch acht Pfund Koteletts oder ein neues Oberhemd kaufen können. Auch die Steuerminderung auf 3 Mark verdrängte den „Muckefuck“ nicht schlagartig von den Familientafeln. Trotzdem, mit wachsendem Einkommen begann der „richtige“ Kaffee seinen Siegeszug durch die bundesdeutschen Wohnzimmer. Von diesem Boom profitierten die zahlreichen kleinen Röstereien wie Münchhausen aber kaum. Es waren die „Großen“ wie Eduscho und Tchibo, die jetzt die Supermärkte eroberten. Und die Finanzierung von Fernsehwerbung, wie sie zum Beispiel Jacobs im großen Stil betrieb, war für einen Familienbetrieb wie Münchhausen illusorisch.

„Kaffee“-Pause auf der Findorffer Parzelle im Günterskamp (1952) – sicher mit „Muckefuck“

Die Konzentration auf wenige Großröster schritt unaufhörlich voran. Gab es nach dem Zweiten Weltkrieg noch 2000 Röstbetriebe in der Bundesrepublik, so sank diese Zahl bis 1960 auf 600. Heute teilen sich sechs Firmen 85 Prozent des Kaffeemarkts.

1965 versuchte die Firma Münchhausen dem Trend durch den Aufkauf einiger kleiner Röstereien noch zu widerstehen. Mitte der 70er Jahre musste August Münchausen, der Firmengründer und inzwischen im Rentenalter, seinen Beruf zum Hobby machen. Die Kaffeerösterei versank in „Dornröschenschlaf“. Für sich und die letzten treuen Kunden produziert er aus feinsten Rohkaffees in kleinen Mengen noch immer die „Festtagsmischung, seine beste Sorte“. Seit den 90er Jahren ist die Firma in der Marktnische ausgewählter Kaffeesorten wieder im Aufwind, die Tochter und die Enkelin führen das Geschäft jetzt auch mit Produkten aus biologischem Anbau und des „fair trade“ weiter. Mit einem Empfang im Schütting feierten sie 2010 ihr 75jähriges Firmenjubiläum.

Zum Weiterlesen: Mark Pendergrast, Kaffee. Wie eine Bohne die Welt veränderte, Temmen, Bremen 2001
Zur Firmenchronik Münchhausen: www.muenchhausen-kaffee.de/download/Jubilaeumsmischung.pdf

Interview: Achim Saur, Olaf Juerss mit Jürgen Segelken
Schnitt: Achim Saur, Olaf Juerss
Recherche / Text: Achim Saur
Fotos: Münchhausen; Geschichtswerkstatt der Martin-Luther-Gemeinde; Jutta Schäfer-Bohle

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