Die Einführung der Containertechnik verwandelte das Löschen eines Schiffs in einen industriellen Vorgang. Dies bewirkte einen revolutionären Wandel der Hafenwirtschaft. Anfangs versuchte die Bremer Lagerhausgesellschaft mit der Nutzung freier Flächen den Trend aufzufangen. Doch schon früh war klar, dass dies nur eine Zwischenlösung sein konnte.
Kein Platz mehr am Kai
Schon Ende der 1950er Jahren stiessen die Waller Häfen an ihre Grenzen. Das Jahr 1959 entwickelte sich zu einem Horrorjahr für die bremische Hafenwirtschaft. Einerseits boomte der Hafenbetrieb wie lange nicht mehr und die Einnahmen sprudelten. Aber in diesem heißen Sommer konnten die Schiffe wegen Niedrigwasser nicht rheinaufwärts fahren, so blieben zum Löschen in Deutschland nur Bremen oder Hamburg. Da zeigte sich in aller Deutlichkeit, der Bremer Hafen besaß zu geringe Kapazitäten. Bis zu 40 Schiffe konnten nicht einlaufen und stauten sich vor Anker bis in die Außenweser. Die Hafenbahn kam trotz Höchstleistung den Anforderungen nicht nach, Züge wurden schon in Göttingen auf Abstellgleise gelenkt, der Hafen kam mit der Abfertigung nicht nach. Die Hafenwirtschaft war alarmiert, langfristig drohten Warenströme in andere Häfen abzuwandern.
Doch es gab auch ein anderes, ein strukturelles Problem der Bremer Häfen. Nach dem Einlaufen verging Zeit, bis alle Ladungen in den unterschiedlichen Häfenbecken gelöscht werden konnten. Deshalb mochten auch die Seeleute den Bremer Hafen nicht, all das Manövrieren von Hafenbecken zu Hafenbecken bis alles gelöscht war, hielt sie vom Landgang ab.
Bis weit in die 1960er Jahre währte die Boomzeit der Waller Häfen. Die Bremer Kais waren überbelegt, Schiffe aus Ostasien mussten in Bremerhaven anlegen. Für die „Unständigen“ waren das gute Jahre, der Hafenbetriebsverein suchte händeringend nach Arbeitskräften. Das gelang mehr oder weniger gut, aber nicht allen neu Angeworbenen schmeckte die harte Arbeit im Hafen.
Das Hafengrundgesetz – Schneller, schneller, schneller
Im Mittelpunkt aller Hafenpolitik stand die Beschleunigung des Umschlags. Immer wieder kamen neue Techniken zum Einsatz. Schon bei der Fertigstellung des Freihafens sorgte elektrische Beleuchtung am Kai und in den Schuppen für eine Ausdehnung der Arbeitszeit unabhängig vom Tageslicht. Stolz vermeldeten die Geschäftsberichte der Bremer Lagerhausgesellschaft in den folgenden Jahren die Anzahl eingesetzter Lampen. Immer stärkere, dann elektische betriebene Kräne beschleunigten das Löschen der Schiffe. Als 1927 eine neue Generation von Kränen das Tempo steigerte, konnten die Hafenarbeiter mit Sackkarre oder Elektrokarren ihren herkömmlichen Mitteln mithalten. Im Hafen mussten alle Techniken zusammenpassen, eine Beschleunigung nur an einer Stelle reichte nicht. Die Lagerhausgesellschaft urteilte dennoch: „Ein schnell arbeitender Kran treibt Stauer und Schuppenpersonal an, was nicht unterschätzt werden darf.
Elektrokarren in den Lagerhäusern, erstmals in den 1920er Jahren genutzt, führten zu einem enormen Rationalisierungseffekt. Ein Mann mit diesem „Flurförderfahrzeug“ schaffte das zehnfache Pensum wie ein Mann mit der Sackkarre. Mit Gabelstapler und und der Lagerung der Ware auf Paletten, in den 1950- und 60er Jahren eingeführt, entfiel auch die Handarbeit beim Beladen der Karren und dem Stapeln in den Lagerhäusern.
Das Jahr 1959 offenbarte nur aufs Neue das alte Grundgesetz aller Häfen. Schnellere Löschung der Fracht steigert die Rentabilität für den Reeder, lange Liegezeiten bedeuteten Verlust. Um Wartezeiten zu vermeiden und die Wettbewerbsfähigkeit Bremens in der Hafenkonkurrenz zu sichern, lagen die Pläne für einen Hafenneubau links der Weser längst in den Schubladen. Der Neustädter Hafen sollte alle Engpässe beseitigen.
Der Container revolutioniert die Bremer Hafenlandschaft
Schon wenige Jahre nach Fertigstellung dieses neuen Hafenbeckens bewirkte die Containertechnik einen revolutionären Wandel der Hafenwirtschaft. Das erste Containerschiff, die „Fairland“, legte 1966 in Bremen an. Das war zwar ein historisches Ereignis, aber welches Ausmaß an Umwälzung des Hafengeschäfts das ankündigte, ahnten damals nur die weitsichtigsten Köpfe. zeitzeugenbericht?)
Der Container verwandelte das Löschen eines Schiffs in einen industriellen Vorgang, die Kräne hievten nun nicht mehr Säcke, sondern bis an den Rand gefüllte, aber vor allem standardisierte „Kisten“ an Land und stapelten sie auf leeren Flächen. Die Ära der Schuppen und Speicher ging zu Ende, als „Abstellplatz“ genügte jetzt eine simpel asphaltierte Freifläche. Entscheidend waren jetzt die Fahrer der Containerbrücken, die Übernahme auch gleichn das Stapel auf die Freifächen oderden LKW. Die Zahl der Transportarbeiter zwischen Kai und Speicher schrumpfte rasant. Manfred Nesemann begann seine Arbeit schon in den 1960er Jahren im Hafen, vor der Ära des Containers. Er kann den Umbruch drastisch illustrieren: „Wenn auf einem Schiff 40 000 Sack Kaffee zu löschen waren, dann brauchte man 20 Gänge und drei bis vier Tage. Heute ist das in etwa 200 Containern verstaut, die innerhalb einer Schicht gelöscht werden können.“
Anfangs nutzte die Bremer Lagerhausgesellschaft – im Hafen nur BLG genannt – noch freie Flächen im Neustädter Hafen für den Containerumschlag. Doch schon früh war klar, dass dies nur eine Zwischenlösung sein konnte. Der geplante Bau von zwei weiteren Hafenbecken links der Weser kam zu den Akten. Es lag nicht nur an fehlenden Flächen, auch das Wachstum der Containerschiffe mit immer größerem Tiefgang erschwerte die Fahrt bis nach Bremen: der Containerumschlag verlagerte sich nach Bremerhaven.
Leere Hafenbecken in Walle
Dort, wo einst die „Fairland“ mit den ersten Containern angelegt hatte, sollte in den folgenden zwei Jahrzehnten Tristesse einziehen. Während in Bremerhaven ein Containerkai nach dem anderen am seetiefen Wasser entstand, steuerten immer weniger Schiffe den Europa- oder Überseehafen an. In den Schuppen und Speichern breitete sich Leere aus, notwendige Reparaturen unterblieben.
Der Blick vom Hafenhochhaus, dem erst 1961 fertig gestellten Verwaltungsgebäude der BLG ging auf einen verwaisten Überseehafen. Während in Hamburg die Planungen für die Speicherstadt schon Form annahm, hatten Bremer Hafensenator und Hafenwirtschaft noch auf eine Zukunft der alten stadtbremischen Hafenbecken gesetzt. Doch der Abschied von Häfen weit im Binnenland ließ sich nicht verhindern, nicht nur in Bremen. Im Ressort des Senators für Stadtplanung lagen die Pläne für eine „Überseestadt“ schon in den Schubladen. Das letzte Kapitel des langsamen Sterbens des ehemaligen Herzens der Bremer Hafenwirtschaft schlug mit dem Ende des 20. Jahrhunderts, als 1998 die Verschüttung des Überseehafen begann. Für viele bedeutete das nicht nur eine ungewisse Zukunft, sondern auch einen Stich ins Herz. Hartmut Schwerdtfeger, ehemaliger Pressesprecher der BLG, konnte das alles von seinem Arbeitsplatz im Hafenhochhaus verfolgen.
Als Gerda Rogge den alten Stauern ihre Kündigungsschreiben am Ende dieser Ära aufsetzen musste, blickte auch sie auf einen leeren Überseehafen. Sie war froh, als sie danach einen neuen Arbeitsplatz mit noch traditionellem Güterumschlag im Neustädter Hafen bekam. Doch auch dort veränderten sich die alten Formen der Zusammenarbeit.
Mit des Siegeszug des Containers zog eine neue Arbeitskultur in die Häfen ein. Die Gruppenarbeit der Stauer gehörte der Vergangenheit an. Mit der Standardisierung durch das Maß des Containers setzten sich rationellere und effektivere Arbeitsformen durch, verschwanden die Arbeitsplätze des alten Hafenarbeiters.
Die BLG verwandelte sich aus einem rein bremischen Umschlagsunternehmen in einen weltweit operierenden „Global Player“ mit über 100 Niederlassungen von Shanghai bis Buenos Aires. Hinter dem alten Kürzel BLG verbarg sich jetzt eine anderer Name, „Bremen Logistics Group“. Und die residierte nicht mehr am Überseehafen, sondern inmitten der Stadt, an den Wallanlagen.
Geprägt wurde diese Revolution von einer neuen Generation. Heinz Bamberger, einer dieser Pioniere, bezeichnet das altehrwürdige Umschlagsunternehmen BLG nun als „Logistiker mit eigenem Hafen“.
Text und Recherche: Achim Saur
Bilder: wenn nicht anders ausgewiesen, Geschichtskontor
Wir danken der Firma fact+film für das Recht zur Nutzung des Audioclips von Hartmut Schwerdtfeger aus der Dokumentation „Die bremischen Häfen – 1000 Jahre Geschichte.