BLG – „Logistiker mit eigenem Hafen“

Tristesse im Überseehafen. Das alte Hafenkonzept war an seine Grenzen gestoßen. Nach dem Aus des „Vulkan“ drohte die nächste Katastrophe: Ein asiatischer Investor prüfte den Kauf der altehrwürdigen Bremer Lagerhausgesellschaft. Heinz Bamberger gestaltete den Wandel zum internationalen Logistikkonzern mit.

Als Heinz Bamberger Anfang der 1980er Jahre aus einer Spedition zur BLG ging, ahnte er nicht, auf welch dramatischen Wandel er sich einlassen würde.

Heinz Bamberger wurde nicht entlassen, im Gegenteil: In der Krise war er an entscheidenden Weichenstellungen beteiligt. Die machten aus der alten „Bremer Lagerhausgesellschaft“ von 1877 die neue „BLG Logistics Group“. Die neuen Geschäftsmodelle nahmen Abschied vom alten Kerngeschäft, dem Umschlag der Güter vom Schiff in die Speicher hinter der Kaje, vom Betrieb der Kräne und dem Transport von Baumwollballen auf der Sackkarre. Der Siegeszug des Containers und die Globalisierung revolutionierten die Hafenwirtschaft.


Kinderjahre des Containerverkehrs, die Bremer Firma Ipsen feiert ein Jubiläum

Die Anfrage dieser Spedition, der ausreichende Fläche für das VW-Geschäft fehlte, stand am Anfang völlig neuer Geschäftsfelder der BLG. Und sollte sich zu einer der Antworten auf die Frage nach der künftigen „Wertschöpfung“ entwickeln. Wertschöpfung, damit war gemeint: womit kann die BLG Gewinne erzielen, um auch Beschäftigung zu sichern? Anfang der 90er Jahre verzeichnete sie Millionenverluste. Dabei spielte es keine Rolle, daß der Containerumschlag dauerhaft boomte und die wachsende Weltwirtschaft für immer höhere Umschlagszahlen der „Blechkiste“ sorgte. Richtig froh wurde man in Bremen nicht mit dem Containergeschäft: Die Reeder klagten über sinkende Frachtraten, wo einst 10 Prozent des Warenwerts gezahlt wurden, boten die Auftraggeber nur noch zwei Prozent. Es waren zu viele Schiffe, die ihre Dienste anboten, die Reeder orderten immer größere Containerriesen, um die Kosten zu drücken. Den Druck gaben sie an die Häfen weiter. Alle Umschlagsbetriebe in den Häfen litten unter knappen Erlösen. Dem gegenüber standen riesige Investitionen für neue Kajen, Verladebrücken, Lagerflächen und Bahnanschlüsse. Mehr als 500 Millionen Mark sollte Bremen bis 1994 in den neuen Containerterminal CT III in Bremerhaven stecken.

Die VW-Anfrage war auch der Einstieg in die „Logistik“. Nicht länger nur die Fahrzeuge zu verschiffen, sondern neue Dienstleistungen für die Automobilindustrie anzubieten. Doch zuvor türmten sich Hindernisse auf:


Traditionelles BLG-Geschäft, der Import und Export von Automobilen, um 1970

Bis die Automobillogistik nach den ersten Experimenten im Neustädter Hafen zum neuen „Kerngeschäft“ aufstieg, sollte es aber noch dauern. Bis in die 1980er Jahre hinein bestimmten Import und Export kompletter Fahrzeuge das Bild. Nach den ersten Aufträgen für VW sollten sich die Hoffnung auf den Großkunden zerschlagen. 1988 entschied sich der Konzern für die Ansiedlung seines Großlagers in Emden. Der „Weserkurier“ vermutete, dass der Großaktionär von VW, das Land Niedersachsen, politischen Druck ausgeübt hätte. Die Steuern aus Emden sollten dem Land zugute kommen.

Trotzdem nahm die „Logistik“ immer größeren Raum in der Strategie der BLG ein, anfangs sagte man noch „Feinverteilung“. Die Bremer „Tageszeitung“ spottete über die Umbenennung der alten Schuppen in „Distributionszentren“. Doch hinter der neuen Namensgebung stand ein neuer Trend. Mit der Globalisierung wollten sich die großen Produzenten von der lästigen Verteilung ihrer Produkte aus den Containern befreien. Da waren unzählige Abnehmer an verschiedensten Orten. Damit wanderten die Lager weg von den Produktionsstätten in die Hafenlandschaften. Die Bremer TAZ fasst die vom BLG-Vorstand Stuchtey erläuterte „Wertschöpfungs-Strategie“ ironisch zusammen: „So arbeiten schon jetzt knapp 240 Leute in der Feinverteilung der Container. Der chinesische Weihnachtsschmuck wird also nicht mehr im ganzen Container nach Nürnberg gekarrt, dort umgepackt und dann auf alle deutschen Weihnachtsmärkte verteilt, sondern gleich hinter den Kajen auseinander gepult.“ Profitabel wurde das vor allem, weil die Tarife in diesem Geschäftszweig weit unter dem klassischen Hafentarif lagen.

Als VW sich verabschiedet hatte, kam 1993 Daimler, die Automobilindustrie entwickelte sich zum Zugpferd für die Bremer Logistik. Das hing zusammen mit den Tricks europäischer Automobilkonzerne, die Zollgesetze in Übersee zu umgehen. Die „Zauberworte“ lauteten: SKD und CKD. Semi-knocked-down und completely-knocked-down. Das fertige Fahrzeug wurde in Bremen auseinandergenommen!


Verpackung von Einzelteilen für den Automobilexport, im Logistikzentrum

Schon Ende der 1980er Jahre reichte der Platz im Schuppen 31, Neustädter Hafen, für diese Arbeiten nicht mehr. Dazu kam, daß die Zollgrenze um den Hafen herum einen großen bürokratischen Aufwand zur Folge hatte. Heinz Bamberger: „Strategie nach vorne, sind wir hingegangen und haben gesagt: ‚Grüne Wiese!‘ Wir brauchen eine neue Anlage.“

1988 war das neue „Außenhandelszentrum“ fertig, später hieß es „Logistikzentrum“. Jetzt wurden die Container für den Export vor den Toren des Neustädter Hafens gepackt. An den Packtischen sortierten die Leute, je nach Modell, sechs Schrauben in das eine, sechs Dichtungsringe in das andere Plastiktütchen. Bis zu 3500 unterschiedliche Einzelteile ergaben einen Mercedes der C-Klasse. Aber eine fehlende Schraube bei der Montage der Edelkarosse in Südafrika konnte alles durcheinander bringen. Fehlte etwas Wichtiges, stieg ein Mitarbeiter auch einmal mit ins Flugzeug, um die fehlenden Teile nachzuliefern. Sonst standen die Montagebänder still.

Routine kam dabei nicht auf. Die Zollgesetze in Thailand oder Mexiko forderten jeweils einen anderen Anteil an heimischer Produktion, das hatte unterschiedliche Bausätze zur Folge. Da hieß es zum Beispiel: Keine Teppiche nach Südafrika, die stellen sie selbst her. So mußte jeder Container nach Bedarf gepackt werden. Doch das war nicht alles, die BLG wollte nicht „auswechselbar“ bleiben.


Erst Außenhandels-, dann das Logistikzentrum, vor dem Zollzaun des Neustädter Hafens

Im Oktober 1996 verkündete der BLG-Vorstandsvorsitzende Pöhl: „Beim Auto ist die BLG schon das Logistikunternehmen, das wir in anderen Bereichen noch werden wollen.“ Mit Blick auf die „Bremer Lagerhausgesellschaft“ sprach er aber gleichzeitig von einer „existenziellen Krise“. Das tat er fünf Monate, nachdem der „Vulkan“ in Insolvenz gegangen war. Die Gewitterwolken über Bremen zogen sich immer dichter zusammen. Die Presse sprach von den „grausamen Wellen der Globalisierung“. Der Umschlag beim konventionellen Stückgut – Holz, Baumwolle, Röhren etc. – hatte sich halbiert. Dabei war gerade dieses Geschäft traditionell eine bremische Domäne. Nur einer von drei Hafenarbeitern hatte die Krise der 90er Jahre überstanden.


Verwaiste Hafenreviere, der Überseehafens mit dem „Hafenhochhaus“, ehemals Sitz der BLG

Ein Krisenstab aus BLG und externen Beratern entwickelte das Projekt „Neue BLG“. Die letzte Entscheidung aber lag beim Senat, der als Miteigentümer und Hauptaktionär ein entscheidendes Gewicht besaß. 1997 stand ein asiatischer Großinvestor vor der Tür und führte Gespräche mit dem Vorstand. Eine Kahlschlagsanierung fand nicht statt. 1998 entstand die neue „BLG Logistics Group“. Der Name zeigte an, in welche Richtung es künftig gehen sollte. Der Vorstandsvorsitzende der neuen Ära, Detthold Aden, hatte einst die Versandfirma UPS aufgebaut und besaß über 20 Jahre Erfahrungen in der Logistikbranche. Mit ihm fand eine zweite Kulturrevolution in der jetzt privatisierten BLG statt.

Die Pioniere der Dienstleistungen rund ums Auto hatten den Weg bereitet. Für ihre Neuerungen hatten sie nicht nur den Betriebsrat überzeugt, den Bremer Politikern auf Reisen ihre neuen Modelle vorgeführt, sie hatten sich auch die Kompetenzen erworben, wie man in fremden Ländern erfolgreich kooperieren kann.

Sie hatten exemplarisch vorgeführt, wie sich Bremen zwischen den Hamburg, Antwerpen und Rotterdam behaupten konnte. Damit hatten sie die Weichen gestellt für einen Strukturwandel, der in seiner Bedeutung der Weserkorrektion und der Anlage der neuen Freihäfen 1888 in keiner Weise nachstand.

Interview: Frauke Wilhelm mit Heinz Bamberger, 2013
Schnitt: Sonia Cantu, Achim Saur
Recherche: Achim Saur
Fotos: Geschichtskontor, BLG

Wir danken:
Heinz Bamberger für fachliche Beratung
Der BLG für die Freigabe des Interviews

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