Das Stephaniviertel – Hinter der Mauer

Das Stephaniviertel entstand als natürliche Siedlung auf einem der höchsten Dünenhügel entlang der Weser. Die Karte zeigt, diese eigenständige Siedlung lag damals, um 1300 vor den Toren der Bremer Altstadt.  Angrenzend an St. Steffen trieben die Bewohner ihre Tiere seit 1139 auf die Stephanikirchenweide (Schweineweide), wo später, nach dem Verkauf an die Stadt, der Freihafen 1888 eröffnet wurde.

Auch als die Stadtmauer später das Stephaniviertel in die Altstadt einbezog, lag das Gebiet noch lange „Hinter der Mauer“. Die alte Mauer rund um die Altstadt, erbaut um das Jahr 1200, wurde erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts abgerissen. Sie folgte der Kleinen Balge und traf „Beim Fangturm“, die Strasse gibt es heute noch, auf die Weser. Bis dahin gelangt man nur durch ein Stadttor nach Stephani.


St. Stephani – Feste Burg
Die Stephanigemeinde war das soziale und kulturelle Zentrum; sie wirkte in diesem Quartier wie eine feste Burg und zeichnete sich durch ihr starkes soziales Engagement aus. Diese Kirche berief als erste einen pietistischen Pastor, damals ein Bremer Streitfall, der erst vor dem Wiener Hofgericht entschieden wurde. Diese Theologen zeichneten sich durch besondere Sittenstrenge aus, aber auch durch eine besondere Hinwendung zu den Armen. Im Zentrum ihres Denkes stand das Bibelwort, die Revolution von 1848 erschien ihnen als Abfall von Gott. Eine entgegengesetzte Strömung, wie sie Pastor Dulon von Martini vertrat, der sich zu einem Führer der radikalen Demokraten entwickelte.

 


Das Focke-Museum
Heute befindet sich das Bremer Landesmuseum, nach seinem Gründer kurz „Focke-Museum“ genannt, im Stadtteil Schwachhausen. 1913 fand hier die seit 1880 gewachsene stadtgeschichtliche Sammlung des Bremer Spitzenbeamten Johann Focke sein Domizil am Ende der Großenstrasse. Damit fand die Sammlung nach zwei früheren Stationen einen Ort, der genügend Platz bot. Die große Museumsanlage mit dem gerühmten schönen Garten wurde dann ab 1918 nach seinem Gründer benannt. Im zweiten Weltkrieg wurde die Sammlung ausgelagert und so von dem Bombardement verschont, welches das Museum in Schutt und Asche legte.

Ursprünglich befand sich hier das Bremer Zucht- und Werkhaus, in dem ab 1604 Bettler und andere andere mißliebige Personen zu Frömmigkeit und zur Arbeit erzogen werden sollten. Circa hundert Jahre später wurde daraus ein Armenhaus, das sich bis zur Umwandlung in ein Museum immer mehr zu einem Altenheim entwickelte.


Die Wichelnburg
Von der Faulenstraße waren es nur ein paar Schritte bis zur Wichelnburg am Weserufer: hier war der Platz, wo noch um 1900 die Fischer ihre Netze zum Trocknen aufhingen und wo von der Fischhandlung ‚Klevenhusen‘ der gute Geruch von geräuchertem Lachs ausging. Bei der Wichelnburg lagen rechts gleich Packhäuser, auf der anderen Seite war es nicht weit bis zum Focke-Museum.


Das Gängeviertel
Der Neuengang, abzweigend von der Großenstrasse, war einer der zahlreichen „Gänge“ des Stephaniviertels. Rund um die Stephanikirche mit Schule, Pastorenhaus und seinen sozialen Einrichtungen lag das sogenannte „Gängeviertel“, schmale Gassen mit kleinen Häusern mit meist nur gestampften Lehmböden. Hier lebten früher Fuhrleute, Fischer und Handwerker, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch zahlreiche Zigarrenarbeiter. Mit der raschen Industrialisierung und Verstädterung Ende des vorletzten Jahrhunderts nahm auch die Armut zu. Manch Bremer Bürger machte einen Bogen um dieses Quartier. Es kam nicht von ungefähr, daß sich das Gewerkschaftshaus bis 1928 an der Faulenstraße und die Parteizentrale der SPD am Geeren ansiedelte. Mit dem Bau der Stephanibrücke, damals noch „Westbrücke“ genannt, wurde 1936 ein Teil dieses alten Viertels abgerissen.


Die Faulenstraße
Ihr Name hat nichts mit der Bremer Sage von den ‚Sieben Faulen‘ zu tun, er beschreibt sie vielmehr als  eine unbefestigte, somit „fuule Straat“. Ehemals war sie nur eine unbedeutende Ausfahrtsstraße gen Westen. Dazu passt auch das „Doventor“, also ein „taubes“, wenig befahrenes Tor gen Westen. Spätestens mit dem Bau der stadtbremischen Häfen ändert sich dies: in den 1920er Jahren ist die Faulenstraße die verkehrsreichste Straße ganz Bremens. In ihrer Verlängerung – der früheren Hafenstraße – führte sie direkt über das Stephanitor zu den Bremer Häfen.


Blick in die Faulenstraße stadtauswärts, im Hintergrund der Turm des Kaufhaus Bamberger


„Bambüddel“
„Wir gehen zu Bambüddel“, sagten viele Bremer und meinten damit eines der größten Kaufhäuser in der Stadt, das Julius Bamberger gehörte. 1907 eröffnete er schon sein Kaufhaus in der Nähe des Doventors. Er führte das Geschäft so erfolgreich, dass er weitere Grundstücke erwarb und Ende der 20er Jahre den Turm anbaute.

Die Redewendung, man gehe zu „Bambüddel“, sagt viel über die Wertschätzung aus, welche der jüdische Inhaber Julius Bamberger aufgrund seiner sozialen Einstellung genoß. Etliche Kunden erhielten einen Konfirmandenanzug, auch wenn das Bargeld nicht reichte. Mit seinem Erfolg erweiterte er 1929 das Haus mit einer modernen Stahlkonstruktion. Nach den Plänen der Architekten Behrens-Nicolai entstand jenseits des Gescäftszentrums an der Obernstrasse eines der modernsten Bremer Warenhäuser, mit Rolltreppen und Dachterassen.

Nach dem Boykott jüdischer Geschäfte nach 1933 blieb Julius Bamberger nichts anderes übrig, als 1937 über Frankreich in die USA zu fliehen. Heute erinnert eine Ausstellung im dem sanierten Bambergerhaus, heute Sitz der VHS, an diese Geschichte.


Kaffeerösterei August Münchhausen
Heute ist sie ein Kleinod im Stephaniviertel: die Kaffee-Rösterei von Münchhausen, original ausgestattet gleich einem Kleinmuseum aus den 50er Jahren. Nach alter Tradition wird hier weiter Kaffee geröstet und man kann sich durch die Rösterei von Familienmitgliedern führen lassen. 1938 begann August Münchhausen hier seine eigene Kaffeerösterei auszubauen, nachdem das große Gebäude am Geeren sein Eigentum geworden war. Im August 1944 wurde es bis auf das Untergeschoss zerstört, so dass er nach dem Krieg ganz neu anfangen mußte. In den 50er Jahren nahm die Rösterei wieder ihren Betrieb auf und mit dem Wirtschaftswunder begann der große Kaffeeboom. Aus den USA übernahmen die Münchhausens den Betrieb kleiner Kaffemaschinen, belieferten Firmen und Verwaltungen mit der „Kleinkantine Piccolo“.


18./19. August 1944
Wie ein Großteil des Bremer Westens fiel auch das Stephaniviertel in dieser Nacht in Schutt und Asche. Lediglich das Haus der Architektenkammer am Geeren und die Drogerie Zinke an der Faulenstraße gehörten zu den wenigen noch erhalten Häusern des alten Stephaniviertels.

 

Text und Recherche: Cecilie Eckler von Gleich
Für das „Heimatmuseum“ bearbeitet von Achim Saur

Fotos: Geschichtskontor

Zum Weiterlesen: Geschichtskontor / Kulturhaus Walle Brodelpott e.V. (Hrsg.), Das Stephaniviertel, 1860-1960, Edition Temmen, 2008

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