Der jüdische Sportfunktionär und Unternehmer Felix Scheiniak, der sowohl den Sportverein Bar Kochba Bremen als auch die Bremer Kokosweberei mitbegründet hat, verkaufte kurz nach Verhängung der Nürnberger Gesetze sein Unternehmen in der Ritter Raschen-Straße und verließ mit seiner Familie Bremen Richtung Palästina.
Firmengründung in Walle
Felix Ephraim Scheiniak wurde 1897 im kleinen polnischen Ort Ladorudz geboren, das etwa 100 Kilometer östlich von Posen liegt. Seine spätere Ehefrau Senta stammt ebenfalls aus Polen, nämlich aus Rzeszow, das noch einmal 400 Kilometer südöstlich von Ladorudz liegt.
Nach dem Besuch von Volks- und Handelsschule zog Scheiniak nach Ende des 1. Weltkrieges nach Bremen, wo er zunächst als Angestellter der J. Weiss Metallhandlung arbeitete. Schon kurz danach wurde er selbst Inhaber einer Metallhandlung und 1921 zum Mitinhaber der Binsenverarbeitung GmbH. Ein Foto eines Kuppeldaches, das zu einer Binsenweberei in der Ritter-Raschen-Straße gehören soll, lässt annehmen, dass dieses Unternehmen bereits in den Räumen der späteren Kokosweberei beheimatet war.
Von 1923 bis 1925 führen die Quellen Felix Scheiniak als Mitinhaber der Bremer Kokosweberei (BREKOWE) auf. 1925 wurde die Fa. Mascher & Scheiniak Kokosweberei gegründet, die in der Weltwirtschaftskrise 1929/30 offenbar Konkurs anmelden muss. Zu den Kunden gehörten nach einem Erinnerungsbericht des ehemaligen Mitarbeiters Heile unter anderem Karstadt, Beermann & Kranz sowie Bamberger usw.
Für die 1930 gegründete Bremer Kokosweberei Scheiniak&Co werden Senta Scheiniak und ihr Vater Robert Platzer als Eigentümer genannt. Über die Arbeit in der Kokosweberei ist nur bekannt, dass sie 25-30 Mitarbeiter beschäftigte und neben der Weberei Kokosläufer,
Kokosmatten, Kokosteppiche und Fabrikate ähnlicher Art vertrieb.
1935 wendete sich das Ehepaar Scheiniak an den Berliner Willy Kohl, den Syndikus der Interessengemeinschaft Deutscher Kokoswebereien e.V. Sie suchten einen Nachfolger, „da sie den unwiderruflichen Entschluss gefasst hatten nach den in Deutschland eingetretenen politischen Verhältnissen aus Deutschland auszuwandern“, wie Fritz Kohl laut Unterlagen bei der Handelsregister-Abteilung der Industrie- und Handelskammer mitteilte. „Willy Kohl habe zunächst selbst übernehmen wollen, doch die IG habe ihn nicht sein Amt aufgeben lassen wollen, so habe er seinen Bruder Fritz gefragt, ob er nicht aus Ostsachsen nach Bremen übersiedeln wolle. Fritz Kohl legte nach eigener Aussage von Anfang an Wert darauf, dass Herr Scheiniak am Anfange noch mit geschäftlich tätig blieb…“
„Schleichende Arisierung“
Als Zweck der Weiterbeschäftigung sind Einarbeitung und Einführung der Firma „bei seinen bisherigen Abnehmern…“ angegeben. Kohl beantragte die Weiterbeschäftigung als „Provisionsvertreter bis voraussichtlich Ende April 1936“, da der endgültige Auswanderungstermin noch nicht feststehe. Begründet wurde der Antrag damit, dass Kohls Wohnrat noch in Reichenberg (Sachsen) liege, da der Handelsregister-Eintrag in Bremen seitens des AG noch nicht vorgenommen worden sei und er erst danach „endgültig nach Bremen übersiedeln“ wolle.
Felix Scheiniak erhielt den Unterlagen zu Folge einen Arbeitsvertrag bis zum 31.12.35 mit einer Vergütung von RM 1.000,- . Da nicht näher definiert ist, ob es sich um das monatliche Honorar oder das Gesamthonorar handelt, kann davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um ein Gesamthonorar gehandelt haben soll.
Aufgrund der erzwungenen Ausreise und Betriebsaufgabe kann man sich vorstellen, wie die Verhandlungsposition von Herrn Scheiniak gewesen ist. Der Historiker Hanno Balz spricht in seinem Buch „Die Arisierung von jüdischem Haus- und Grundbesitz in Bremen“ in dieser Phase von einer „schleichenden Arisierung“, in der „nach außen hin der Anschein geregelter Firmenverkäufe gewahrt (wurde), auch wenn die Preise für die zu übernehmenden Firmen und Waren meist unter dem Marktwert lagen. (…). Trotzdem blieb es den jüdischen Geschäftsinhabern in der Regel bis 1938 noch selbst überlassen, ihre Firma zum Kauf anzubieten, auch wenn etliche Fälle überliefert sind, bei denen von Seiten der lokalen Parteiinstanzen ein erheblicher Druck ausgeübt worden ist.“ Zu diesen Druckmitteln zählt Balz auch Meldungen über angebliche Wirtschaftsvergehen. Hierzu passt, dass Scheiniak 1934 wegen angeblicher Unterschlagung von der Gestapo verhaftet wurde, nach kurzer Zeit aber wieder freigelassen wurde, da ihm keine Verfehlungen nachgewiesen werden konnten.
Am 31.5. 1936 schrieb die Industrie- und Handelskammer an das Amtsgericht, dass Kohl aus „sicherer Quelle“ erfahren habe, dass Scheiniak „inzwischen nach Palästina abgereist“ sei.
Im Oktober 1938 setze sich die Bremer Kokosweberei Kohl & Co, wie sie nun hieß, für die Weiterbeschäftigung, bzw. die Verlängerung der Legitimationskarte eines jüdischen Mitarbeiters ein. Der „nicht-arische“ Vertreter habe die Firma „vor nicht allzu langer Zeit in einem Bezirk verhältnismäßig gut eingeführt, in dem wir bisher wenig und so gut wie gar keine Geschäfte tätigen konnten. Aus diesem Grund wäre uns sehr damit gedient, wenn wir die näheren Umstände, die uns zu unserem ersuchen veranlassen, dem Herrn regierenden Bürgermeister persönlich vortragen könnten …“, heißt es in einem mit „Heil Hitler“ endenden Brief an den Adjudanten des Bürgermeisters. Über die Reaktion ist nichts bekannt.
Langer Kampf um Entschädigung
Über das weitere Schicksal der Familie Scheiniak in Palästina erfahren wir aus den Akten nur, dass Felix Scheiniak von 1936 bis 1949 für die Stuhlfabrik HAKISSEH & Alnoos Ltd. als Selbständiger tätig und von 1950 bis 1960 Mitinhaber von Yarkon Plastic Ltd. war. 1956 machte er noch den Versuch einer Rückkehr nach Bremen und beantragte bei der Entschädigungsbehörde eine Soforthilfe, von der ein Teil als Einlage für eine neue Firma dienen sollte. Sein Rechtsanwalt begründete das so: „Herr Scheiniak hatte früher die deutsche Staatsangehörigkeit und wurde von den NS-Machthabern ausgebürgert. Er wanderte im Jahre 1936 nach Israel aus und ist zum 15.7.57 nach Bremen zurückgekehrt, seine Anschrift lautet: Oslebshauser Heerstraße 127. Herr Scheiniak hat vor kurzem die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen und auch einen Bundespersonalausweis erhalten sowie einen deutschen Reisepass. Daneben besitzt Herr Scheiniak noch die israelische Staatsangehörigkeit. Herr Scheiniak beabsichtigt, seinen Wohnsitz in Israel beizubehalten, neben dem Wohnsitz, den er jetzt in Bremen begründet hat. Er wird sich hier an einem Geschäft beteiligen.“
Laut einem weiteren Schreiben des Anwaltes, in dem er den Antrag auf Soforthilfe zurückzog, zerschlugen sich die Pläne, „in Bremen einen zweiten Wohnsitz zu begründen und sich an dem Geschäft seines Schwagers, des Herrn Oscar Platzer, zu beteiligen“ aus persönlichen Gründen.
Ab 1953 wurde erhielt Senta Scheiniak bis zu ihrem Tod 198o „wg. Schaden im beruflichen Fortkommen“ eine Rente in Höhe von zuletzt 1434,- DM. 1959 wurde Felix Scheiniak vom Landesamt für Wiedergutmachung eine Kapitalentschädigung in Höhe von 22.590,- zugesprochen, die 1967 auf 40.000 Euro erhöht wurde. Außerdem erhielt er ein bis 1973 rückzahlbares Darlehen für den Zukauf von Anteilen an seiner Plastikfabrik zugesprochen.
Im abschließenden Schreiben der Bremer Entschädigungsbehörde an den Sohn Moshe Shany heißt es : „Es tut mir leid, dass ich Ihre Hoffnung auf weitere Entschädigung enttäuschen muss. …“
Der in der Ritter-Raschen-Straße 3 geborene Moshe Shany war dreizehn Jahre alt, als die Familie Bremen Richtung Palästina verließ. Nach dem Tod seines Vaters besuchte er mit seiner Frau Ruth mehrfach Bremen und erzählte von seinen Erinnerungen an seine Kindheit in Walle.