- Die Vorgeschichte
Gleich nach der Aufhebung des SPD – Parteienverbotes 1890 errang der Zigarrenmacher Julius Bruhns durch seine aufopferungsvolle Agitationsarbeit das erste Reichstagsmandat für die Bremer SPD überhaupt. Die mit der Industrialisierung rasch anwachsende Parteiorganisation im kleinsten Bundesstaat des Reiches hatte einige Besonderheiten: so eine eigenständige proletarische Bildungsarbeit, Ausdehnung der Parteiarbeit auf alle gesellschaftlichen Bereiche (Schule, Kirche usw.), offene Diskussion innerparteilicher Zwistigkeiten in der eigenen Zeitung („Bremer Bürgerzeitung“ – BBZ) und auf Mitgliederversammlungen. Neben Leipzig war die Bremer SPD vor 1914 die aktivste und klassenbewußteste Parteiorganisation. Entgegen dieser Dynamik wurde die Stadtrepublik bis 1918 von einem unbeweglichen und starrsinnigen Konservativismus beherrscht: aufgrund der Verfassung von 1854 garantierte ein 8-Klassen-Wahlrecht den besitzenden Schichten stets die Mehrheit in der Bremischen Bürgerschaft; die Senatoren amtierten lebenslänglich und bestimmten ihre eigenen Nachfolger. Die Zahl der sozialdemokratischen Abgeordneten blieb trotz erheblich steigender Wählerschaft gering, so dass Sozialdemokraten im Parlament nur mit Hilfe bürgerlich-liberaler Abgeordneten manchmal eigene Anträge durchbringen konnten.
Der Ausbruch des Weltkrieges, seine nicht absehbare Dauer, das unbeirrte Festhalten an der Burgfriedenspolitik durch den Berliner SPD-Parteivorstand einerseits und der wachsende Widerstand dagegen in der Reichstagfraktion andererseits vertiefte die Gegensätze auch in der Bremer Partei, zusätzlich angeheizt durch die russischen Februarrevolution von 1917. Dies alles führte schließlich zu einer auch organisatorischen Spaltung. Mit der Gründung der Bremer USPD durch den Bürgerschafts- und Reichstagsabgeordneten Alfred Henke im April 1917 trat neben den alten, nun aber linksradikalen Ortsverein um den Lehrer und Redakteur Johann Knief und den neuen, vorstandstreuen „Sozialdemokratischen Parteiverein“ eine dritte sozialistische Partei. USPD und Linksradikale hatten in Bremen stets die Mehrheit gegen die berlintreue „Mehrheitssozialdemokratie“ (MSPD).
2. Revolution und Rätestaat
2.1. Waffenstillstand und Matrosenbewegung
Die endgültige Etablierung einer Räte (= Sowjet) – Herrschaft in Rußland im Januar 1918 beeinflußte auch bedeutende Teile des deutschen Proletariats. Es kam zu Massenstreiks von Rüstungsarbeitern, die einen Verständigungsfrieden, bessere Lebensmittelversorgung und die Demokratisierung aller Staatseinrichtungen forderten. In Bremen wurde der Streik v.a. durch die Belegschaft der AG „Weser“ (AGW) getragen, einer Großwerft mit etwa 7000 Arbeitern, wobei Knief rückhaltlos auf der Seite der Streikenden stand. Da die Streikbewegung erfolglos blieb, verbreitete sich im Sommer 1918 eine tiefe Entmutigung und eine lawinenartig anwachsende Friedenssehnsucht. Auch die Oberste Heeresleitung (Hindenburg und Ludendorff) glaubte nicht mehr an den Sieg und forderte die sofortige Beendigung der Kampfhandlungen durch die am 3. Oktober neu gebildete Regierung, der nun erstmals auch Sozialdemokraten angehörten. Das deutsche Waffenstillstandsangebot wurde noch geheimgehalten, aber am 6. Oktober kam es in Wilhelmshaven zu ersten Befehlsverweigerungen, die mit Massenverhaftungen geahndet wurden. Es sprach sich herum, daß die Marineleitung einen letzten Einsatz der Hochseeflotte gegen England plante. Es kam daraufhin zu Matrosenaufständen in Wilhelmshaven am 29. Oktober, in Kiel am 4. November, wobei sich Werftarbeiter und Garnisonssoldaten ihnen anschlossen. Militärische und zivile Behörden kapitulierten überall kampflos. Das war der Beginn der Revolution.
2.2 Die Aufhebung der ständischen Ordnung Bremens durch das Rätesystem
Am Morgen des 6. November erreichte die sich übers Reich ausbreitende Matrosenbewegung Bremen. Es gelang den Matrosen, unterstützt durch die Arbeiter der AGW und Bremer Garnisonssoldaten, den Garnisonsältesten von der Übernahme der militärischen Gewalt in Bremen durch einen Soldatenrat zu überzeugen. Am Nachmittag des selben Tages versammelten sich auf dem Martktplatz Matrosen, Soldaten und Betriebsarbeiter; vom Balkon des Rathauses verkündete der Unabhängige Adam Frasunkiewicz, daß alle Behörden unter die Kontrolle eines Arbeiter- und Soldatenrats gestellt werden würden und endete mit einem Hoch auf die sozialistische deutsche Republik. Noch am Abend trafen sich der Soldatenrat mit Vertretern der drei sozialistischen Parteien und der Gewerkschaften im Gewerkschaftshaus und beschlossen die Wahl eines improvisierten Arbeiterrates in den Betrieben am folgenden Tag.
Dieser Arbeiterrat hatte 180 Mitglieder, der Soldatenrat 36. Unabhängige und Linksradikale hatten in diesem Arbeiter-und Soldatenrat die eindeutige Mehrheit. Noch am 7. November konstituierte sich ein 15köpfiger Aktionsausschuß als dessen Exekutivorgan unter Vorsitz von Alfred Henke. Da ihm aber zur Kontrolle der Behörden die entsprechenden Fachleute fehlten, mußten hierin auch Mitglieder der MSPD aufgenommen werden. Der Senat hatte de jure noch die uneingeschränkte politische Gewalt und wurde deshalb mitsamt der Bürgerschaft am 14. November abgesetzt. Am nächsten Tag wurde um 11 Uhr unter Hochrufen der Menge und den Klängen der Garnisonskapelle am Rathaus die rote Fahne gehißt. Den Senatsmitgliedern, die ihre Kompetenzen zur Verfügung stellten, wurden Vertreter der sozialistischen Parteien als eine Art Aufsicht beigegeben.
19. November: Der Arbeiter-und Soldatenrat spricht sich trotz „Druck durch die Straße“ für die Wahl zu einer Nationalversammlung und gegen die Diktatur des Proletariats aus.
23. November: Der linksradikale „alte“ SPD-Ortsverein nennt sich „Internationale Kommunisten Deutschlands“
1. Januar 1919: Das von der Westfront zurückkehrende Infanterie-Regiment Nr. 75 wird überrumpelt und seine 600 Soldaten entwaffnet; sein Soldatenrat will aber mit dem Bremer Arbeiter- und Soldatenrat vertrauensvoll zusammenarbeiten.
6. Januar. „Ordentliche“ Wahl zum Arbeiterrat, wahlberechtigt sind nur Mitglieder der drei sozialistischen Parteien und der freien Gewerkschaften. MSPD 104 Mandate, USPD 59, Kommunisten 60 Mandate. Die Mandate der MSPD wurden nicht anerkannt. Die Kommunisten besaßen im Arbeiterrat also eine hauchdünne Mehrheit, konnten aber im 180 köpfigen Arbeiter-und Soldatenrat jederzeit von den Unabhängigen und Soldaten überstimmt werden.
10. Januar: Auflösung des Senats, neun „Volkskommissare“ übernehmen ihre Ämter. Vom Rathausbalkon verkündet Frazunkiewicz die Räterepublik.
19. Januar: Wahl zur Nationalversammlung. Ergebnis in Bremen: MSPD 41,5, USPD 18,7 Prozent. Kommunsten nahmen nicht teil.
21. Januar: Es gibt keine Kredite mehr für Bremen. Notgedrungen muß der Arbeiter- und Soldatenrat für den 2. März zur Wahl einer Bremischen Nationalversammlung aufrufen und damit sich und die Räterepublik praktisch selbst auflösen.
4. Februar : Trotzdem und trotz diverser Vermittlungsversuche ergeht an die 3500 Mann Reichstruppe (Division Gerstenberg) und die 300 Mann bremischer Bürgermiliz ( Freikorps Caspari) der Angriffsbefehl gegen die Bremer Räterepublik.
In den ersten Novembertagen 1918 hatte in Bremen die Stunde der Arbeiter-und Soldatenräte geschlagen. Spontane Massenaktionen beseitigten die ständische Ordnung und bereiteten den Boden für eine parlamentarische Demokratie.
Text: Klaus auf dem Garten