„Kannste Karre schieben, kannste Arbeit kriegen“, so stellten sich die Bremer lange Zeit die Anforderungen an einen Hafenarbeiter vor. Tatsächlich waren die Anforderungen an einen Hafenarbeiter bis weit in die 1960er Jahre so, dass hier auch ohne große Vorbildung Jobs gefunden werden konnten. Dass diese Arbeiter aber erst ab 1948 hier einigermaßen abgesicherte Arbeitsplätze fanden, wissen nur die Wenigsten.

Der Grund dafür liegt in dem täglich schwankenden Bedarf an Arbeitern – je nach der Zahl der einlaufenden Schiffe. So schwankte die monatliche Beschäftigung – zum Beispiel 1924 – zwischen 1605 und 3712 Hafenarbeitern. Das hatte zur Folge, dass die Hafenfirmen immer nur wenige Festangestellte beschäftigten, alle anderen wurden bis zur Gründung des Hafenbetriebsverein 1914 entsprechend der aktuellen Lage „an der Ecke“ angeheuert. Über zwei Drittel aller Hafenarbeiter fanden so ihr karges Auskommen als Tagelöhner, ohne regelmäßige Einkünfte und soziale Sicherheit.
Täglich aufs Neue versammelten sich diese „Unständgen“ an den Stellen, wo ein Vorarbeiter auf der Suche nach Hilfskräften auftauchen konnte. Oft begannen sie schon als Jugendliche im Hafen, war diese Arbeit „Familientradition“ oder diente als Notbehelf. Und oft blieb diese Arbeit ein Leben lang die einzige Einkommensquelle, als unqualifizierte Arbeiter fanden sie kaum Alternativen. Fast immer übertraf die Zahl an der „Ecke“ die Zahl der gesuchten Arbeitskräfte. Das belegen auch die Zahlen:
Es war ein informelles System, wie bis 1914 die täglich neu anfallende Arbeit an die Arbeitssuchenden verteilt wurde. Die fest angestellten Vorleute der Hafenbetriebe, „Vize“ genannt, fanden ihre Leute in Hafenrandkneipen, auf der Straße, am Hafenkopf oder vor den Schuppen. Bei Hochbetrieb war das ein Vorteil für die Unständigen, dann fand der unbeliebte „Vize“ keine Leute. Lagen kaum Schiffe im Hafen, war die Willkür der Vorarbeiter bei der Auswahl der Arbeiter umso größer.
Problematisch waren besonders private Vermittler wie Kneipiers vom Hafenrand: „Sie haben offene Hände, verlangen Prozente vom Verdienten. Die nächste Hürde: Der gewichtige Vorarbeiter. Er möchte mit Schnäpsen in seiner Stammkneipe bei Laune gehalten werden“, so die Chronik zum 75. Jubiläum des Hafenbetriebsverein (HBV).

Streik im Hafen
Fehlte den Hafenbetrieben bis 1914 eine gemeinsame Interessenvertretung, stand ihnen seit 1891 eine Gewerkschaft der Hafenarbeiter gegenüber. Über punktuelle Streiks von Stauern, Festmachern oder der Tallyman konnte der ganze Hafenbetrieb in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Gewerkschaft der Hafenarbeiter hatte eine rebellische Klientel organisiert. Geringfügige Anlässe konnten Streiks veranlassen, die zahlreiche Arbeitsvorgänge lahm legen. Streikten die Stauer, konnte die Fracht der Schiffe den Schiffsbauch nicht verlassen und die Schiffe konnten ihre Fahrt nicht fortsetzen. Streikten die Karrenschieben, blieb die Fracht am Kai liegen und die Ware konnte ihren Adressaten nicht erreichen.
Auch der Arbeitskampf der Hamburger Hafenarbeiter von 1896/97 war der Bremer Hafenwirtschaftein Menetekel. Dieser Streik hatte den gesamten Hafen für über zwei Monate lahm gelegt und internationales Aufsehen erlangt. Reeder erwarten in ihren angelaufen Häfen aber zuverlässige Abfertigung, sonst drohten sie andere Häfen anzulaufen. Somit stand die Kontrolle über die angeworbenen Tagelöhner im Mittelpunkt der Politik der Hafenwirtschaft. Konnte man die bekanntermaßen rebellischen „Elemente“ von der Hafenarbeit ausschließen, war viel gewonnen.

Noch 1953 urteilte ein Handbuch der Hafenwirtschaft: „Nicht zuletzt aber braucht ein Hafen Arbeitsfrieden. Die Lahmlegungung eines Hafens selbst auf kurze Zeit ist für den Hafen als Ganzes […] immer eine Katastrophe.“ Es war Hermann Helms, Reeder der Bremer DDG Hansa, der die Gründung einer „Gegenorganisation“, dem Hafenbetriebsverein, in die Hand nahm. In einem Rundschreiben an die Firmen der Hafenwirtschaft vom Juli 1914 umriss er das Übel der Bremer Hafenwirtschaft.
„Die Arbeitsverhältnisse an dem hiesigen Hafen haben sich durch den oft willkürlichen Terrorismus der im Deutschen Transportarbeiter-Verbandes organisierten sozialdemokratischen Arbeitnehmer von Jahr zu Jahr schwieriger gestaltet.“ Die „Gegenorganisation“ von Reedern, Schiffsmaklern, Stauern und Spediteuren solle dem ein Ende setzen. Ziel sei die Schaffung eines zentralisierten Arbeitsnachweis, Bündelung der Tarifverhandlungen und „Abwehrmaßnahmen gegen unberechtigte Übergriffe der Arbeiterschaft“. Nach Hamburger Vorbild sollten die Verbandsmitglieder für die Organisation und einen „Abwehrfond“ (zum Ausgleich für Verluste bei Aussperrungen) einen Anteil von 1,5 Prozent ihrer Bremer Stauerrechnungen in die gemeinsame Kasse einbringen.
Bewährungsprobe des HBV 1914
Als Hermann Helms dieses erneute Werbeschreiben für den HBV verfasste, waren die ersten zentralisierten Tarifverhandlungen des HBV gerade abgeschlossen, fanden aber nicht die Zustimmung der Mehrheit der Hafenarbeiter. Vor allem die Unständigen auf den Holzlagern hätten bei diesem Abschluss eine Reduzierung ihres Lohn hinnehmen müssen. In einer Versammlung der Hafenarbeiter mit 1000 Teilnehmern zogen sie ihre Kollegen auf ihre Seite und stimmten mit knapper Mehrheit gegen den Tarifvertrag und drohten mit Streik. Damit setzten sie ihre Gewerkschaft unter heftigen Druck, die wehrte sich mit einem eindringlichen Flugblatt mit viel Fettdruck.
Mit Befriedigung nahm der HBV wohl vor allem eine Passage zur Kenntnis, welche die Anerkennung der Stärke ihres Unternehmens durch die Gewerkschaft beschrieb: „Anerkannt muss aber werden, dass erfolgbringende Tarifabschlüsse eben nur auf Kompensation, d.h. gegenseitiges Entgegenkommen und gegenseitige Zugeständnisse beruhen können.“ Das Flugblatt legitimierte sein Festhalten am getroffenen Abkommen damit, auf der Versammlung habe nur jeder zweite Hafenarbeiter teilgenommen, die unzufriedenen Stauerarbeiter verträten nur eine Minderheit. „Es geht einfach nicht an, dass in einer so ernsten Situation die Interessen der Allgemeinheit einer verschwindenden, aus krassem Egoismus opponierenden Minderheit geopfert werden.“ Um weitere Mitglieder zu gewinnen, schickte der HBV dieses Flugblatt an die noch nicht beigetreten Hafenformen.

Bei genauem Lesen des Flugblatts fällt ein Passus auf, den die Gewerkschaft unter ihren Erfolgen – Absicherung der Tarife, Lohnerhöhungen im Folgejahr, rechtzeitige Ankündigung von Überstunden, Entschädigung für zwecklos beschafftes Abendbrot bei vorzeitigem Schichtende – an erster Stelle nannte. Da hebt sie eine Zusage des HBV für die Arbeitsvermittlung hervor. Da zitiert sie eine Zusicherung des HBV, der neue Arbeitsnachweis solle kein „Schikanierungs- und Maßregelinstitut“ des HBV sein, es sei auch eine paritätische Schlichtungsstelle geplant. Diese vage Aussage dürfte die Skepsis der Hafenarbeiter aber kaum aus der Welt geschafft haben. Denn natürlich bot diese Klausel keine Sicherheit, dass missliebig aufgefallene Arbeitern nicht künftig auf einer geheimen „schwarzen Liste“ notiert würden.
Auch der HBV rechnete mit Ärger bei seiner im August eröffneten Arbeitsvermittlung. Um erwartete „tätliche Übergriffe“ zu vermeiden, sollten die Vermittler am Gröpelinger Deich hinter Schalterfenstern geschützt sein.
Neue Kräfteverhältnisse im Hafen
Die Kräfteverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Hafenarbeitern hatten sich verschoben. Der HBV stellt in seiner Chronik von 1954 fest: „Wilden Streiks war Paroli geboten.“
Es war kein Zufall, dass es gerade die „Unständigen“ waren, die mit dem Tarifabschluss von 1914 unzufrieden waren. Im Gegensatz zu den „Ständigen“ setzen sie weniger auf langfristige Verbesserung ihrer Lage, sondern lebten vorwiegend von der Hand in den Mund. Im Gegensatz zu ihren besser gestellten Kollegen konnten sie nicht vom Erwerb eines kleinen Bremer Haus träumen, sie mussten mit jedem Pfennig rechnen – und den wollten sie sofort. So, wie es ein Polizeibeamter auf einer Versammlung der Hafenarbeiter von 1928 protokollierte: „Wenn wir arbeiten, müssen wir hungern, wenn wir streiken, wissen wir wenigstens, wofür wir hungern!“
Nach 1918 spaltete sich dementsprechend die gewerkschaftliche Orientierung der Hafenarbeiter. Sammelten sich die fest angestellten Arbeiter im Verband der Transportarbeiter, organisierten sich die Unständigen im radikaleren „Seemannsbund“. Doch angesichts der organisierten Arbeitsgebervertreter verloren sie nach dem Krieg schon nach wenigen Jahren ihren Einfluss im Hafen, der HBV dagegen etablierte sich als unangefochtener Organisator der Arbeitsvermittlung.
Text und Recherche: Achim Saur
Literatur: B.Gräfing, D.Heinrichs, Vom Stauhaken zum Container, Bremen 2009; H. J. Helle, Die unstetig beschäftigten Hafenarbeiter in den nordwesteuropäischen Häfen, Stuttgart 1960; Heinz Gerd Hofschen, Arbeit und Hafenarbeiter, Im Überseehafen, in: K.Schlottau, D.Tilgner (Hrsg), Der Bremer Überseehafen, Bremen 1999; C. Niermann, Die Hafenarbeiter Bremens in der Weimarer Republik, in: Beiträge zur Sozialgeschichte Bremens, H.6, 1983; die Chroniken des HBV und GHBV von 1954, 1989, 2014