Ein Spaziergang durch Walle im Jahr 1920

Dreißig Jahre nach dem Bau des Freihafens war eine ganz neue Stadtlandschaft entstanden. Entlang der Waller Heerstraße hatte die Stadt das alte Dorf erreicht, doch noch gab es unbebaute Flächen. Zwei neue Hafenbecken waren fertiggestellt und zwei Straßenbahnlinien erschlossen das neue Stadtgebiet. Die neue Bahnlinie hatte die Trennung des Dorfes weiter zementiert.

Wo die Waller Chaussee nur auf einer kleinen Aufschüttung lief, teilte der Bahndamm das alte Dorf nun endgültig. Nur noch drei Tunnel führten in das Gebiet rechts der Bahn, das jetzt den Namen Osterfeuerberg erhielt. Dafür gab es jetzt eine Bahnstation, die jedoch den althergebrachten Namen behielt: Walle. Das Gesicht des Stadtteils war jetzt geprägt von der Straßenbahn, neuen Geschäften, Gaststätten, Vereinen, Schulen, einer neuen Kirche und einem Park.

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Das Wahrzeichen einer „Neuen Zeit“ 

Die neue Vorstadt brauchte eine neue Infrastruktur. Der Brunnen im Dorf war Vergangenheit. 1907 entstand in der Breslauer Straße, heute Karl Peters Straße, eine zentrale Wasserversorgung für die wachsende Waller Bevölkerung. Bis dahin nahmen die Waller den Eimer in die Hand und besorgten sich das kostbare Nass von der Pumpe an der Straßenecke. Mit dem Wasserturm wurde alles anders. Jetzt gab der Senat sogar Gelder an die Hausbesitzer aus, damit sie sich – nicht nur in Walle – den Umbau für die Wasserstelle im Haus erlauben konnte. Damit war zugleich die Versorgung mit einwandfreiem Wasser gesichert, frühere Untersuchungen hatten nicht selten eine zweifelhafte Qualität des Brunnenwassers festgestellt. Ab 1907 blickten die Waller stolz auf ihren Wasserturm, mit über 60 Meter Höhe war er weithin sichtbar zum Wahrzeichen des Stadtteils geworden. Und so verschickte man gerne eine Postkarte mit dem Symbol des Fortschritts, dem seinerzeit größten Wasserturm Europas.

Geschäfte 

Der neue Stadtteil musste versorgt werden. Die zahlenstarke Kundschaft zog Kolonialwarenhändler, Schlachter, Textilhändler und andere Branchen an. an. Gleichzeitig entstanden zahlreiche Minigeschäfte wie der kleine Zigarrenladen im Souterrain. Hier führte nicht selten die Ehefrau eines Arbeiters die Geschäfte und sorgte für Zuverdienst. An der Nordstraße, im Steffensweg oder an der Heerstraße, reihte sich Laden an Laden. Und es gab unzählige Eckläden für den täglichen Bedarf, heute sind sie fast alle verschwunden.

Schulen 

Eine Schule nach der anderen entstand im Stadtteil, im klassischen wilhelminischen Backsteinstil. Nach 1918 zog in etliche der ehemals kaiserlichen Anstalten ein neuer Geist ein. Die „Reformschulen“ entwickelten eine Pädagogik „vom Kinde aus“. Die Lehrer machten den Alltag im Arbeiterhaushalt zum Thema und setzen eine neue Lust am Lernen frei. Zum Unmut der noch immer kaiserlich gesonnenen Schulbürokratie.

Im Bild: Die Schule an der Schleswiger Straße

Straßenkinder 

Die Bremer Vororte waren kinderreich, und der Spielplatz war die Straße. Da Fotoapparate für die Arbeiterfamilien unerschwinglich waren zogen Straßenfotografen durch die Vorstädte und trommelten die Kinder für eine Aufnahme zusammen. Später zogen sie mit den Abzügen von Tür zu Tür und verkauften den Eltern ein Foto ihrer Kinder im Kreis der Spielkameraden.

Immanuel – Eine neue Kirchengemeinde

Sie kam ganz bescheiden daher, die 1899 neu erbaute Kirchengemeinde in der Elisabethstraße. Kein Kirchturm behauptete, ein neuer Mittelpunkt in der Vorstadt zu sein, der First des Baus überragte kaum die Dächer der Straßenzeile, allein die hohen Fenster und der Aufbau für die Glocke gaben einen Hinweis, dass dies ein kirchlicher Ort war. Hier wurde nicht von der Kanzel herab gepredigt, der Pastor sammelte seine Gemeinde in verschiedenen „Vereinen“. Ein pragmatisches Vorgehen, denn in dem Arbeiterstadtteil traf die Kirche auf ganz andere Verhältnisse als in der Muttergemeinde St. Stephani.

Ein städtischer Friedhof 

Sprunghaft war die Bevölkerung angewachsen, und damit die Zahl der Toten. Der Platz auf dem Kirchfriedhof reichte nicht aus, auch in Walle. Jetzt übernahm die Stadt die Regie für die Bestattung der Verstorbenen. 1875 gestaltete ein Landschaftsarchitekte den Waller Friedhof. Die letzte Ruhestätte wanderte von der Kirche in eine Parkanlage.

Ein „Bürgerpark“ für Walle

 Nach dem Ende des 1. Weltkriegs lag der Landsitz von Achelis auf dem alten Gutsgelände brach. Die Stadt verwandelte das ehemalige Privatgrundstück in den „Waller Park“. Am See entstand ein Strandbad und in die alte Villa zog das „Waller Parkhaus“ ein, hier fanden Vorträge und Filmvorführungen statt, draußen gab es Spielplätze für die Kinder. Damit bekam der Westen ein Erholungsgelände, eine Miniatur des althergebrachten „Bürgerparks“.

Grundlage dieses Streifzuges sind die Veröffentlichungen von Cecilie Eckler-von Gleich und Archivalien wie Erinnerungen des Archivs im Geschichtskontor im Kulturhaus Walle.

Buchcover des Buches Walle - Utbremen 1860 - 1960
Band zwei der von Cecilie Eckler von Gleich verfassten „Photographischen
Streifzüge“ mit zahlreichen historischen Fotos und umfangreichen Texten
zu den Bilder, einsehbar in unserer Bibliothek.

Copyright! Bei Interesse an den Bildern wenden sie sich bitte an info@digitales-heimatmuseum.de