Die Parzellengebiete in Walle und Gröpelingen waren ein wichtiges Aktionsgebiet des Widerstands gegen das Naziregime. In vielen Parzellenbuden hatten Nazigegner ihre von den Nazis verbotenen Bücher und Schriften versteckt. Hier trafen sich Antifaschisten zu illegalen Besprechungen, hier gab es in den letzten Monaten des Krieges auch die ersten Treffen der Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus. Marianne Berger, die Tochter von Antifaschisten, erzählt in Text und Ton, wie die Kampfgemeinschaft zu der Schreibmaschine kam, auf der sie ihr Organ „Der Aufbau“ produzierten.

Solidarischer Westen
Die Gestapo-Spitzel waren zahlreich. Aber in der Waller Feldmark fühlten sich die Widerständler verhältnismäßig sicher, weil dort ein besonderes Klima herrschte. Im Bremer Westen wohnten hauptsächlich Arbeiter, viele von der Werft und aus dem Hafen. Dort hatten die Nazis vor 33 nur schwer Fuß gefasst. Nun war der Westen von Bomben zerstört. Die Leute mussten sich selbst ein Dach über dem Kopf erbauen. Von den Behörden war keine Hilfe zu erwarten. Da war Solidarität wichtig. Man half sich gegenseitig beim Beschaffen von Baumaterial und beim Bauen, lieh sich Werkzeug aus, aber auch Kochtöpfe und andere Geräte des täglichen Lebens. Da wusste man, auf wen man sich verlassen konnte. Auch dann, wenn es um illegale politische Arbeit ging.
Zuflucht auf der Parzelle
In den letzten Kriegsmonaten fanden auch viele Menschen auf Parzellen Zuflucht vor den Nazis: entflohene KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene, Deserteure und von der Einberufung in Kanonenfutter-Bataillone Bedrohte. Bei meinen Eltern Berta und Walter Oldehoff auf der Parzelle wohnten drei russische Kriegsgefangene, die vor der Zwangsarbeit am U-Boot-Bunker Farge und auf der Weser geflohen waren. Sie hielten Kontakt zu ihren russischen Genossen, indem sie ihnen beispielsweise den aktuellen Frontverlauf mitteilten. Meine Eltern besaßen nämlich verbotenerweise ein Blaupunkt-Radio und da konnte man den Feindsender hören.
Ein abenteuerlicher Plan

Russische Kriegsgefangene wurden an Nebeltonnen eingesetzt. Diese Tonnen waren mit Säure gefüllt. Wenn man sie öffnete, entwich die Säure in Form von Nebel. Damit sollte die Sicht feindlicher Piloten auf wichtige Objekte gestört werden. Meine Mutter kam einmal so spät zum Bunker, dass die Nebeltonne schon geöffnet war. Ihre Kleidung war danach durchlöchert.
Eine dieser Tonnen stand am Waller Bahnhof. Gegenüber in einem Eckhaus war ein Büro der NSDAP. Die Kriegsgefangenen an der Nebeltonne beobachteten, dass die Wachen dieses Büros bei Fliegeralarm fluchtartig das Haus verließen, um sich in Sicherheit zu bringen. Ein abenteuerlicher Plan entstand. Beim nächsten Alarm schlichen sich mein Vater und ein Kriegsgefangener zu dem Parteibüro. Kein Bewacher anwesend.
Und sie nahmen mit, was für die illegale Arbeit wichtig war: Schreibmaschine, Abzugsgerät, Wachsmatrizen, Papier, Farbe usw. Auf der Parzelle versteckten sie alles in einer Höhle im Komposthaufen. Langes Warten. Würde jetzt ein Unwetter an Durchsuchungen losbrechen? Nichts geschah. Die wachhabenden Nazis konnten ja nicht zugeben, dass sie nicht auf Wache gewesen waren. Sie meldeten den Einbruch also nicht weiter.
Auf dieser Schreibmaschine und diesem Abzugsgerät entstand der Aufbau, Organ der Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus und später die Zapfstelle, Zeitung der Wohngebietsgruppe der KPD. Meine Mutter, eine gelernte Stenotypistin, schrieb die Texte auf Wachsmatrize.
Text und Audio: Marianne Berger
Den Text hat Marianne Berger ursprünglich für das Kaisenhaus-Museum verfasst
Foto Schreibmaschine: Kulturhaus Walle Brodelpott
Foto „Der Aufbau“: Spurensuche Bremen
Weitere Informationen:
Text eines Flugblattes der Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus vom April 1945