Wolfskuhle? Das klingt nach Märchen oder Sage, aber nicht nach einer Siedlung inmitten von kleinen Gärten, die in den 1950er Jahren einmal ein Modellprojekt für die Umwandlung der bei der Politik unbeliebten Kaisenhäuser gewesen ist. Noch existiert der Charme dieser unbekannten Stadtlandschaft auf dem Weg nach Brinkum. Der Wolfskuhlen-Park schützt sie vom Lärm der Hauptschlagader Kattenturmer Heerstraße. Doch jetzt droht ihnen mit der A281 der Lärm einer vierspurigen Bundesstraße vor der Haustür, vielleicht sogar der Abriß.
Ein Ort im Verborgenem
Nach dem Kriege ging es hinter der Endstation der Straßenbahn an der Huckelriede zu Fuß oder per Rad weiter, in die noch überschaubaren Dörfer Arsten oder Habenhausen, oder in die kleinen Siedlungen um Kattenturm oder Kattenesch am Ufer der Ochtum.
Zur Wolfskuhle gelangte man über die Kattenturmer Heerstraße. Hinter dem Park – ursprünglich ein uraltes Bremer Landgut aus dem 16. Jahrhundert, benannt nach einem alten Wasserloch, das einst nach einem Deichbruch hier entstanden war – erstreckte sich das alte Parzellengebiet.
Kattenturmer Heerstraße mit dem Park des alten Landguts, dahinter die ersten „Gartenheime“
Das „Kaisenhaus“ – Erst legalisiert, dann ein Problembau
Das Wohnen auf den Parzellen der Wolfskuhle begann wie in den anderen Gebieten der Stadt. Um dem gröbsten Wohnungselend zu entkommen, begannen die Bremer sofort nach dem Krieg auch hier, die bisherigen Lauben zum Wohnen auszubauen. Was immer sich an Holz, Steinen oder Fenstern in der zerstörten Stadt finden liess, fand einen Weg auf die Parzelle. Bereits am ersten Arbeitstag seiner Präsidentschaft im Senat erliess Kaisen daher im August 1945 die als „Kaisen-Erlass“ berühmte Verordnung zur Legalisierung dieser Bauten. Dabei handelte es sich aber keineswegs um eine völlig neue Idee. Bereits der „Reichswohnungskommissar“ hatte im Juli 1944 diese Flucht raus auf die Parzelle angesichts der zunehmend in Schutt und Asche versinkenden Städte akzeptiert und sogar mit staatlichen Beihilfen gefördert.
Vier Jahre, bis zum Januar 1949, sollte der Kaisen-Erlass gelten, dann beendete der Bausenator das „wilde“ Bauen. Den gelernten Bauingenieuren im Bauressort war das anarchische Bauern vor den Toren der Stadt ein Graus. Getrimmt auf die Einhaltung von Bauvorschriften mußte ihnen das Geschehen in den Kleingärten als Provokation erscheinen. In einem ihrer Vorstöße gegen den Kaisen-Erlass warnten sie vor einstürzenden Bauten, da die verwandten Baumaterialien nicht der Norm entsprächen, also Steine oder das Holz nicht das erforderliche Maß besaßen. Zudem befürchteten sie für die Bewohner der ehemaligen Gartenlauben – weitab von ärztlicher Versorgung, ohne fließend Wasser und Strom – die „geistige und soziale Verelendung“.
Kleingartenvereine zwischen Siedlern und Gärtnern
Am Ende spielte auch das Verhalten des bremischen Verbands der Kleingärtner eine Rolle. Der war nach dem Krieg in eine schwierige Situation geraten: die Interessen der Siedler und der reinen Gärtnern waren nicht immer gleich. Obendrein hatte die Politik bis 1949 den Vereinen die Entscheidung überlassen, ob sie einen neuen Bau in ihrem Verein genehmigten. Durchaus eine Quelle für Konflikte mit den Neusiedlern, wenn die auf einmal die Mehrheit im alten Verein stellten. Denn auch nach 1949 ging das Bauen in den Parzellen munter weiter. Mitte der 1950er schätzte der Kleingärtnerverband 80 000 Bewohner in den Kleingärten, eine versteckte zweite Stadt im Grünen.
Ewald Stengel vor seinem Pfirsichbaum und der „Bude“ im Rhedenweg, 1951
Die andere Perspektive – „Hauptsache, ein Dach überm Kopf“
Für die Beamten war das Geschehen nichts als Anarchie. Für diejenigen, die ihr Glück in Bremen suchten, war es angesichts des „Wohnungsmarkts“ – der aber nichts anbot – die einzige Lösung. Der junge Ewald Stengel hatte in Bremen Arbeit gefunden und zimmerte sich 1951 seine Bleibe in der Wolfskuhle. Da war der Kaisen-Erlaß schon aufgehoben, legal war diese Bleibe nicht. Es war tatsächlich eine Notlösung, ein „Behelfsheim“, wie die Beamten sagten. Doch dann wurde das kleine Obdach 1955 zum Zuhause einer kleinen Familie.
Frau Stengel war als junge Frau in das Chaos der Nachkriegszeit geraten. In Ostpreußen von der Front überrollt, überlebte sie als Helferin erst unter russischer und dann polnischer Verwaltung, arbeitete unter den neuen Herren der alten Güter. Die Schule konnte sie wie so Viele nicht mehr beenden. Als die Familie den Vater nach seiner Kriegsgefangenschaft endlich im Westen wiederfanden und die Familie in Rotenburg wieder zusammenkam, verdiente sie sich ihren Unterhalt zunächst als Haushaltshilfe. Dann traf sie ihren künftigen Mann auf einem großen Bibelkongress im Weserstadion, und nach der Heirat zog sie 1955 zu ihm in das Wolfskuhler Einzimmer-Domizil. Sie erzählt:
Das Modell „Gartenheim“
1955 noch in die kleine Bude ziehen, da standen doch schon die großen Bauvorhaben in der Neuen Vahr auf der Tagesordnung? Warum wollten die Stengels nicht warten, bis sie dort eine moderne Wohnung mit Zentralheizung und all dem in Bremer Häusern bislang unbekanntem Komfort für sie bereit stand?
Der Grund war einfach: Die Politik plante inzwischen, die Parzellenbewohner in der Wolfskuhle zu „Gartenheimern“ zu machen. Und die sollten Eigentümer, nicht nur Mieter werden. Dazu sollten alle Grundstücke neu zugeschnitten werden, jeder künftige Besitzer sollte die gleiche Grundfläche von 400 Quadratmeter bekommen. Das Haus sollte bis 100 qm Wohnfläche haben, die bisherige Obergrenze von 30 qm für eine Wohnlaube sollte fallen. Dazu waren günstige Kredite geplant, das war die grosse Chance für auch auch weniger finanzstarke Siedler wie die Stengels.
Im Zuge des neuen Bremer Flächenplans dachte man an sechs „Gartenheimgebiete“, von Kattenturm bis Walle. Die Wolfskuhle entwickelte sich zum Modellprojekt, hier war bereits jede zweite Parzelle bewohnt. 1958 war Baubeginn. Manche rissen die alte Bude ab und machten sich ein zweites Mal an die Arbeit. Bei dieser Aussicht lohnte es sich, in dem Provisorium auszuharren.
Das „Gartenheim“ war bereits der dritte Bau, den die Stengels da im Rhedenweg anpackten. Erst die alte Bude Ewald Stengels aus dem Jahr 1951, dann nach der Heirat ein kleiner Ausbau – als sich der erste Nachwuchs ankündigte. Dabei wurde dann betoniert und unterkellert, am Ende integrierten sie diese Ausbaustufe in das endgültige Gartenheim. An dem die beiden noch einmal mitbauten, um die Kosten zu drücken. Aber beim letzten Richtfest konnte die Erzählerin nicht mehr dabei sein, da kündigte sich just das zweite Baby an.
Der dritte Hausbau der Stengels, das „Gartenheim“
Nicht jeder Wolfskuhler mochte solche Mühen wie die Stengels auf sich nehmen. Ihr schon alter Nachbar mußte seine Parzelle räumen, ihm fehlte Kraft oder Geld für ein „Gartenheim“. Denn es galt die Regel: entweder es entstand ein „Gartenheim“, sonst musste der Parzellenbesitzer oder –Bewohner sich etwas Neues suchen.
Und was noch zu der Geschichte gehört: Nicht alle „Gartenheimer“ in der Wolfskuhle waren auch Altsiedler. Ein Drittel der neuen Bauten erstellte die „Bremische“ – schlüsselfertig. Diese Häuser gingen an Siedler, die ihren bewohnten Kleingarten an anderer Stelle aufgegeben hatten. Die Politik wollte eine Flurbereinigung, keinen Gemischtwarenladen. Der Plan war: hie Gartenheimer, dort Kleingarten herkömmlicher Art. Dass der Plan nicht aufging, zeigen die noch heute geführten Debatten.
Eine überragende Rolle bei diesem Pionierprojekt spielte Jan Dreyer, der Vorstand des ehemaligen Kleingartenvereins. Es war nicht zuletzt sein Verdienst, daß an der Wolfskuhle eine Siedlung mit 200 Häusern für rund 1000 Menschen entstand. Die im gemeinsamen Aufbau gewachsenen Siedlergemeinschaft entwickelte einen gemeinsamen Alltag, Kohl- und Pinkeltouren, das Sommer- oder Kinderfest. Heute sind es die Großväter und -mütter, die das Kinderfest jetzt für die Enkel organisieren.
Die Siedler der ersten Generation – im Einsatz für die Gemeinschaft
Das Ende des Projekts „Gartenheim“
Doch schon wenige Jahre später nahm die Politik Abschied von dem Konzept. In Sebaldsbrück entstand noch die Wilhelm Busch Siedlung, aber die noch weit größeren Pläne für Findorff oder den Osterfeuerberg verschwanden in der Versenkung. Der Senat bewertete die Gartenheimsiedlung Wolfskuhle zwar als Erfolg, doch inzwischen gewannen andere Überlegungen an Gewicht. Im Flächennutzungsplan von 1963 tauchten vier der geplante Gartenheimgebiete plötzlich nicht mehr auf.
Im Senat rechnete der Koalitionspartner FDP den Sozialdemokraten vor, die Erschließungskosten eines weitläufigen Gartenheimgebietes seien viel zu hoch. Dazu kam, die ursprünglich geplanten Gebiete wie im Osterfeuerberg oder Findorff sollten den Umfang der Wolfskuhle weit übertreffen. Wenn im Zeilenbau in die Höhe gebaut würde, könne man zum gleichen Preis „fünfmal soviel Wohnungen“ errichten. Für die SPD spielten andere Gesichtspunkte eine wichtigere Rolle. Die Prognosen der Bevölkerungsentwicklung gingen von einem rasanten Stadtwachstum auf bis zu 800 000 Bewohner aus. Damit drohte Bauland knapp zu werden und das verstreute Wohnen in Gartenheimsiedlungen erschien als Verschwendung von Raum und Boden.
Selbst Kaisen, der den Wert der Selbsthilfe der Siedler am besten zu schätzen wußte, akzeptierte die neue Linie. Mit dieser Entscheidung hatte sich die Wolfskuhle in ein lebendes Denkmal der Idee vom Wohnen im Grünen verwandelt.
Kampf um die Zukunft – A 281und B6n
50 Jahre lag die Siedlung im Windschatten der Stadtentwicklung. Seit 2006 aber schwebt ein „Damoklesschwert“ über der Wolfskuhle, da bekamen sie Wind von einer im Stillen vorbereiteten Änderung des „Flächennutzungsplans“ und einer damit drohenden Straße direkt an der Wolfskuhle vorbei. Nicht nur das, für die Bewohner war klar: „Dann müssen bei uns Häuser abgerissen werden.“ Auch die angrenzenden Kleingärten würden für die vierspurige Verbindung nach Brinkum weichen müssen.
Die Wolfskuhle sollte ein Opfer bringen für die Entlastung der Kattenturmer Heerstraße. Hier wälzt sich seit Jahren eine immer weiter zunehmende Blechlawine aus der Stadt in Richtung Brinkum und weiter in das Umland hinein, eine unerträgliche Belastung für die Anwohner. Noch immer ist diese Heerstraße wie seit Napoleons Zeiten die Bremer Hauptschlagader nach Süden.Dieses Problem wollten Senat und Bauressort im Zuge der Schließung des noch unvollendeten Bremer Autobahnrings gleich mit lösen.
Das Problem: diese Entlastungsstraße – die B6 neu – soll durch das Nadelöhr zwischen Wolfskuhle und Flughafen verlaufen. 2007 fand in einer leergeräumten Garage der Familie Neumann-Breeger die Gründung der Bürgerinitiative „Rettet die Wolfskuhle!“ statt. Mit anderen Betroffenen aus den Kleingärten, aus dem Obervieland und Huckelriede entstand schon wenig später die BI für eine „menschengerechte A 281“. Ihre Forderung war eine Untertunnelung des Flughafens, so bliebe die B6n in angemessenen Abstand zur Siedlung und eine Entlastung der Heerstrasse wäre auch gewährleistet.
Der Verkehrssenator liess sich auf einen Runden Tisch ein, und nach harten Ringen über 18 Monate und der Anhörung von Experten lagen vier Varianten vor. Am Ende votierten alle für eine Tunnel-Lösung, auch die Bürgerschaft votierte 2009 einstimmig: „B6n unter dem Flughafen hinduch oder gar nicht.“
Doch dann legte der Senat dem Bund bei seiner Beantragung der Mittel 2013 zusätzlich einen Alternativplan bei, die von der BI bekämpfte Umfahrungsvariante. Und genau dafür bewilligte der Bund – entgegen dem Parlamentsbeschluss aller Parteien – jetzt im Jahr 2016 seine Mittel. Das Land kann Gelder für eine Straße abrufen, die es nicht will. Die TAZ versteht das als Ränkespiel des Bremer Oppositionsführers Röwekamp, der einen Deal mit den Parteifreunden aus Niedersachsen ausgekungelt habe. Die Brinkumer hatten wegen dem weiteren Ausbau ihres Gewerbegebietes starkes Interesse an der B6n – der Bremer Anwohnerschutz war ihnen egal.
Noch will der Bausenator an der Tunnellösung festhalten. Aber dafür fehlt ihm mit der Bonner Entscheidung das Geld. Die dunklen Wolken über der Wolfskuhlen-Siedlung bleiben.
Text: Achim Saur
Interview: Achim Saur mit Helga Stengel, 2016
Bilder: Renate Neumann-Breeger, BI „Rettet die Wolfskuhle“
Zur Geschichte der Gartenheim-Idee siehe Kirsten Tiedemann, Mehr als ein Dach über dem Kopf, hgg. von B.z.B, Bremen 2012
Renate Breeger-Neumann Dank für die bereitgestellten Unterlagen, weit mehr historische Bilder und Informationen zur Geschichte Kattenturms finden Sie in ihrem Fotobuch „Kattenturm und Kattenesch, Geschichte und Geschichten“, Bremen 2012
Mehr zum Leben im Grünen:
Bau und Alltag im Kaisenhaus
Erste Anfänge in der Wohnbude der 1920er Jahre
Hier noch ein Link zur Homepage der Bürgerinitiative