Im Haus Blütenstraße 3, das heute nicht mehr existiert, lebte in den 1940er Jahren der Kriminalsekretär Wilhelm Mündrath. Er leitete seit 1941 die sogenannte „Dienststelle für Zigeunerfragen“. In Bremen befand sich zu dieser Zeit die Kriminalpolizeileitstelle, von der aus unter der Leitung von Mündrath die NS-Verfolgung der Sinti und Roma im gesamten Nordwestdeutschland organisiert wurde.
Kriminalsekretär Wilhelm Mündrath wurde am 17. März 1898 in Weidenau, einem heutigen Stadtteil von Siegen (NRW) geboren. Er starb am 8. Januar 1973 in Bremen.
Von allen gefürchtet
Nicht ohne Grund sah der Überlebende Julius Dickel in Mündrath den Haupttäter der Verbrechen gegen die Sinti und Roma in Bremen und zeigte ihn am 27. April 1961 bei der Bremer Staatsanwaltschaft an.
In dem Ermittlungsverfahren schilderten 16 Zeugen eindrücklich, der 1,90 Meter große und 100 Kilo schwere Mündrath sei „von allen gefürchtet gewesen, sogar von den Kindern“. Er habe „seinen Dienst sehr rücksichtslos und brutal ausgeübt“. So habe er beispielsweise schwangere Frauen wegen Nichtigkeiten bei der Verhaftung unterm Bett hervorgezogen, wo sie sich versteckt hatten. Bei der Deportation im März 1943 leitete er einen Transport nach Auschwitz-Birkenau persönlich. Rolf Becker liest aus der Aussage von Marie Bernhardt.
Ohne Strafe davongekommen
Am 26. Januar 1962 stellte der Staatsanwalt das Ermittlungsverfahren mit der Begründung ein, Mündtrath habe seinerzeit nicht erkennen können, „dass unschuldige Menschen ermordet werden sollten“. Mit der gleichen Begründung wurden die nach einer Beschwerde von Julius Dickel weitergeführten Ermittlungen von Staatsanwalt Siegfried Höffler am 28. September 1962 endgültig eingestellt.
Der Versuch einer justiziellen Aufarbeitung der NS-Verbrechen an den Sinti und Roma in Nordwestdeutschland war damit zwar gescheitert. Die Anzeigen der überlebenden Opfer schufen allerdings überhaupt erst die Quellen, die es späteren Historikern ermöglichten, die NS-Verbrechen in Bremen aufzuarbeiten.
Ein Gedenkstein für Julius Dickel
Julius Dickel erlag am 20. Januar 1993 in Offenburg (Baden-Württemberg) einer Herzattacke. Das Grab der Familie Dickel auf dem Buntentorfriedhof in der Neustadt ist das älteste erhaltene Grab einer Sinti-Familie in Bremen. Am 8. Mai 2022 um 11 Uhr wird an dem Grab ein Gedenkstein eingeweiht, der an Julius Dickel und das Schicksal seiner Familie erinnert.
Vertiefung:
Hans Hesse: Der zweite Himmler
Spurensuche Bremen: Das Schicksal der von den Nazis deportierten Sinti-Familie Petrus Dickel
Zu den anderen Stationen des Rundgangs:
- Waller Friedhof – ein Grab als Denkmal
- Mitten in Walle – Von Nachbarn denunziert, von Polizisten erfasst
- Leben auf der Parzelle – Ein Schmuckstück und eine Liste
- Blütenstraße – Wohnort des Haupttäters
- Gothaer Straße – Als Schulkind deportiert
- Am Torfhafen – Anzeige gegen den Haupttäter
- Findorffstraße 99 – Mit den Betten zum Schlachthof gebracht
- Schlachthof – Drei Tage im März
- Familie-Schwarz-Platz – ein Stadtteil erinnert sich
- Die Spur der Steine – Für einen würdigen Gedenkort
- Musikalischer Ausklang mit dem Dardo Balke-Trio