Waller Friedhof – Ein Grab als Denkmal

Grabstein der Familie Schmidt auf dem Waller Friedhof

Als die Bremer Sinti und Roma Anfang der 1990er Jahre begannen, ihre Verfolgungs- und Deportationsgeschichte historisch aufzuarbeiten und die Gedenktafel am Kulturzentrum Schlachthof entstand, blieb weitgehend unbemerkt, dass es schon seit zehn Jahren ein anderes Mahnmal für die ermordeten Sinti in Bremen gab: die Grabstelle der Familie Schmidt auf dem Waller Friedhof.

Eines der ersten Mahnmale

Auf dem Waller Friedhof gibt es mindestens drei Gräber, die an die NS-Verfolgung der Sinti und Roma erinnern. Die Spurensuche ist noch längst nicht abgeschlossen.  Auch für die Grabstelle der Familie Schmidt wurden erst 2018  Dokumente gefunden, die sie zweifelsfrei einer Sinti-Familie zuordnen. Aufgrund mündlicher Überlieferungen hatte das Geschichtskontor im Kulturhaus Walle seit den 1980er Jahren bei seinen Friedhofsführungen auf die Herkunft des Grabes hingewiesen, wie Angela Piplak, die Leiterin des Geschichtskontors, berichtet.

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„Durch Unmenschlichkeit verstarben im Lager Auschwitz in den Jahren 1943-1945 40 Angehörige unserer Familie.“

Diese Inschrift weist darauf hin, dass das Grab zugleich ein Mahnmal ist – und zwar bundesweit eines der ersten, das an die Verfolgung der Sinti und Roma erinnerte.

Unterhalb des Steins findet sich eine Steinplatte, auf der verzeichnet ist, dass hier der am 23. Oktober 1984 verstorbene Anton Schmidt beerdigt wurde. Außerdem befinden sich hier die Gräber seiner zweiten Ehefrau Irmgard und einer weiteren Person.

Anton Schmidt

Erst bei der Wehrmacht, dann ins Vernichtungslager deportiert: Anton Schmidt kurz vor seiner Deportation nach Auschwitz. Quelle: Familienbesitz

Anton Schmidt wurde am 22. Juli 1902 in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Von seinem Vater übernahm er den Beruf des „Marktbeziehers“. 1928 trat er in die KPD ein. In der Partei hatte er seit 1930 die Funktion eines Kassierers inne, die er 1933 niederlegen musste.

1939 kam er mit seiner Frau Maria und sieben Kindern nach Bremen und lebte am Stephanitorsbollwerk im alten Muggenburg-Viertel in zwei Wohnwagen bei einem Gastwirt im Hinterhof.

Das belegen Aussagen von Zeitzeugen, die das Geschichtskontor befragt hat.

Im März 1942 wurde Anton Schmidt zur Wehrmacht eingezogen, aber bereits nach wenigen Monaten aus rassischen Gründen wieder entlassen.

Damit kommen wir zu einem Datum, das Ihnen auf jeder Station unseres Rundganges begegnen wird: der 8. März 1943. An diesem Tag wurden alle als Sinti und Roma erfassten Personen in Nordwestdeutschland von der Polizei verhaftet und zum Bremer Schlachthof transportiert. Von dort ging es bis zum 10. März in drei Transporten ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Familie Schmidt wurde von den Beamten vom Stephanitorsbollwerk über die Polizeiwache 15 zum Schlachthof gebracht. Die zurück gelassenen Wohnwagen wurden versiegelt und später versteigert.     

                                                        
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Anklage gegen das Nazi-Regime

Anton Schmidt blieb bis zum Sommer 1944 in dem sogenannten „Zigeunerfamilienlager“ in Auschwitz-Birkenau. Zu diesem Zeitpunkt waren vier seiner Kinder und seine Ehefrau bereits tot. Wie alle Sinti, die vor ihrer Deportation zur Wehrmacht eingezogen worden waren, kam er über das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück in das KZ Sachsenhausen. Wenige Tage vor der Befreiung wurde er von der SS in eine ihrer Sonderheiten zwangsverpflichtet. Die sowjetrussischen Befreier erkannten seinen Opferstatus nicht und steckten ihn in Kriegsgefangenschaft. Erst im Juli 1947 war Anton Schmidt wieder in Bremen. Er und drei seiner Kinder hatten überlebt. In Bremen gründete er eine zweite Familie.

Anton Schmidt starb schwerkrank am 23. Oktober 1984 – das Grab hatte er bereits 1976 erworben. Es sollte nach seinem Willen zu einer Anklage gegen das Unrechtsregime der Nationalsozialisten dienen.

Jedes Jahr am 8. März lesen Mitglieder des Arbeitskreises „Erinnern an den März 1943“ die Namen der vom Schlachthof deportierten Sinti und Roma. Auch die der Familie Schmidt – wie hier im Jahr 2021.

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Im Jahr 2022 soll auf Vorschlag des Geschichtskontors im Kulturhaus Walle ein Platz im neu gestalteten Muggenburg-Viertel nach der ermordeten Maria Schmidt benannt werden.

Vertiefung:

Hans Hesse: Den Opfern ein Gesicht geben

Spurensuche-Bremen: Ein Fa­mi­li­en­grab gibt Aus­kunft über die Ver­fol­gung der Sin­ti in Bre­men

Zu den anderen Stationen des Rundgangs:

Start: Vom Waller Friedhof zum alten Schlachthof – auf den Spuren der Sinti und Roma im Bremer Westen

  1. Waller Friedhof – ein Grab als Denkmal
  2. Mitten in Walle – Von Nachbarn denunziert, von Polizisten erfasst
  3. Leben auf der Parzelle – Ein Schmuckstück und eine Liste
  4. Blütenstraße – Wohnort des Haupttäters
  5. Gothaer Straße – Als Schulkind deportiert
  6. Am Torfhafen – Anzeige gegen den Haupttäter
  7. Findorffstraße 99 – Mit den Betten zum Schlachthof gebracht
  8. Schlachthof – Drei Tage im März
  9. Familie-Schwarz-Platz – ein Stadtteil erinnert sich  
  10. Die Spur der Steine – Für einen würdigen Gedenkort
  11. Musikalischer Ausklang mit dem Dardo Balke-Trio

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